Die US-Regierung muss ihren Schriftverkehr archivieren, aber angeblich sind ihr Emails in unbekannter Zahl verloren gegangen, während Vizepräsident Cheney lieber gar keine Dokumente herausgeben will.
Dem Weißen Haus ist zwischen 2003 und 2005 angeblich eine unbekannte Zahl an Emails verloren gegangen. Nach den letzten Informationen fehlen nach nicht sonderlich präziser Auskunft des Weißen Hauses die Emails zwischen 25 und 225 Tagen. Nach den Vorgaben des Presidential Records Act von 1978 muss der Schriftverkehr archiviert werden, was allerdings zu manchen Tricks verleitet, die nicht nur darin bestehen, etwas unter Geheimhaltung zu setzen, sondern beispielsweise auch, wie gerade Vizepräsidentschaftskandidatin Palin demonstriert hatte, offizielle Emails über private Email-Accounts zu versenden und zu empfangen. Wenn technische Fehler angeführt werden wie vom Weißen Haus, liegt natürlich der Verdacht nahe, dass man möglicherweise die Einsicht in die Email-Kommunikation, gerade um den Beginn des Irak-Krieges herum, verhindern will.
Vor Oktober 2003 habe es auch keine Back-up-Bänder gegeben,
hieß es aus dem Weißen Haus im Januar 2008. Ende 2001 hatte man das unter Clinton eingeführte Automated Records Management System (ARMS) beim Übergang von Lotus Notes zu Microsoft Exchange aufgegeben und seitdem manuell gespeichert, da das neue Electronic Communications Records Management System (ECRMS) zwar entwickelt, aber bis heute nicht installiert wurde. Die Back-up-Bänder bis Oktober 2003 wurden praktischerweise
recycelt, wie das Weißen Haus versicherte, so dass hier keine Daten mehr zu finden sind.
Ende Juli
ordnete ein Gericht in Abweisung von Einsprüchen des Weißen Hauses an, dass das Executive Office des Präsidenten nicht nur alle existierenden Back-up-Bänder, vermutlich 35.000, durchsuchen und die Emails, soweit möglich, wieder herstellen lassen muss. Da vermutlich Emails gelöscht wurden, die sich auch nicht notwendigerweise auf den Back-up-Bändern finden lassen, müssen nun auch die Computer und tragbaren Medien forensisch überprüft werden.
Ende des letzten Jahres
vermutete die Bürgerrechtsorganisation
Citizens for Responsibility and Ethics (CREW) in Washington noch, dass dem Weißen Haus möglicherweise mehr als 10 Millionen Emails verloren gegangen sein könnten. Im April 2007 hatte Dana Perino, die Sprecherin des Weißen Hauses, eingeräumt, es könnten bis zu 5 Millionen Emails verloren gegangen sein. Im letzten Jahr hatte die CREW zusammen mit dem
National Security Archive eine Eingabe nach dem Informationsfreiheitsgesetz (FOIA) gemacht, um Einsicht in die Dokumente zu erhalten, die den Verlust der Emails betreffen. Das Weiße Haus bestreitet erst einmal, dass überhaupt Emails verloren gegangen seien. Im Februar wurden dann über 20 Millionen Emails "wieder gefunden".
Öffentlich wurde das Verschwinden durch die Nachforschungen über die Aufdeckung der Identität der CIA-Mitarbeiterin Valerie Plame durch den Sonderermittler Patrick Fitzgerald (
"Fitzmas in October"), der im Januar 2006 feststellte, dass 2003 zu gewissen Zeiten keine Emails vom Executive Office des Präsidenten und auch vom Büro des Vizepräsidenten Cheney zu finden seien – just in der Zeit, als das Justizministerium die Untersuchung des Plame-Falls begann und das Weiße Haus aufforderte, alle Dokumente und Emails zu übergeben. Vermutlich hat Lewis Libby, Stabschef von Cheney, oder gar dieser selbst aus Rache wegen der Enthüllungen des Ex-Diplomaten Joseph Wilson dessen Frau Valerie Plame gegenüber dem Journalisten Robert Novak als CIA-Mitarbeiterin aufgedeckt. Das ist, gerade in Zeiten des "Krieg gegen den Terror", eine schwerwiegende Straftat, weswegen trotz Widerstands aus dem Weißen Haus nicht nur ein Sonderermittler eingesetzt werden musste, sondern der Skandal auch eine breite Medienöffentlichkeit fand.
Wilson hatte die Bush-Regierung in Bedrängnis gebracht, weil er die auch von US-Präsident Bush in seiner "Rede an die Nation" im Januar 2003 geäußerte und von Cheneys Office of Special Plans verbreitete Anschuldigung, Hussein habe versucht, sich waffenfähiges Uran aus dem Niger zu beschaffen, als Fake widerlegte. Wilson war im Auftrag der CIA 2002 deswegen in den Niger gereist. Libby, der für Cheney die Kriegsgründe für die Irak-Invasion fabriziert hatte, wurde 2007 wegen Meineids, Rechtsbehinderung und Falschaussage verurteilt. Ob er tatsächlich der Täter war und nicht beispielsweise Karl Rove oder gar Cheney selbst, bleibt der Spekulation überlassen.
Vor Fitzgerald hatte bereits das Office of Administration in einem
Bericht aus dem Jahr 2005 moniert, dass Emails nicht richtig archiviert wurden. An 473 Tagen fehlten Emails in einigen Abteilungen, an 229 Tagen waren nur auffällig wenig archiviert. Der Verdacht liegt nahe, dass man bestimmte Vorgänge der Archivierung entziehen wollte. In die Zeit fällt nicht nur der mit vielen fabrizierten Beweisen im März 2003 gestartete Irak-Krieg und der Valerie-Plame-Skandal, sondern auch der Abu Ghraib-Skandal und die Foltervorwürfe gegen die CIA. Allerdings sind die verschwundenen oder gelöschten Emails nicht die einzigen unauffindbaren Informationen aus dem Weißen Haus. Dutzende der dort Beschäftigten hatten auch Email-Accounts beim Republican National Committee, wodurch sich deren Archivierung umgehen ließ. Nach einem
Bericht hatten diese Möglichkeit der offiziellen Email-Kommunikation unter anderem Karl Rove, Andrew Card, der ehemalige Stabschef des Präsidenten und zahlreiche Angehörige des Office of Political Affairs, des Office of Communications und des Office of the Vice President genutzt. Auch hier sind viele Emails gelöscht worden.
Bei CREW ist man der Überzeugung, dass das Weiße Haus mit weiteren Finten die Herausgabe von wieder gefundenen oder hergestellten Emails hinausziehen wird, bis ein neuer Präsident im Amt ist. Nach einem Dokument vom 20. Juni, das die Nachrichtenagentur AP erhalten hat, sucht das Weiße Haus offenbar nach Angeboten von Unternehmen, die verlorenen Emails wieder herzustellen. Ausgeführt werden soll die Arbeit bis April 2009.
Cheney darf keine Aufzeichnungen vernichten
Erfolgreicher war man nun, was die Versuche von Vizepräsident Cheney betrifft, eine Vielzahl von Dokumenten der Öffentlichkeit und der Archivierung zu entziehen. Cheney behauptet nämlich, er sei nicht Teil der Exekutive und müsse daher auch nicht seine Dokumente weitergeben. Sein Büro sei nur an das Weiße Haus angehängt, gehöre aber zur Legislative, da Cheney Präsident des Senats ist.
Natürlich ist das Interesse groß, gerade an die Dokumente von Cheney zu gelangen, der als Drahtzieher der aggressiven Politik der Bush-Regierung gilt. Schon vor dem 11.9. hatte sich der mit Energie- und Ölkonzernen verbundene Cheney hervorgetan, weil er die Berater und Ölkonzerne nicht preisgeben wollte, die als Mitglieder der Energiearbeitsgruppe bei der Erstellung des Plans zur Nationalen Energiepolitik mitgewirkt haben. Dort wurden die wachsende Ölabhängigkeit der USA und die drohende Versorgungslücke durch zunehmende Nachfrage zum Thema gemacht. Unter Cheneys Aufsicht wurde vor allem der Irak-Krieg mit vielen Tricks und Täuschungen vorbereitet, Cheney steht auch hinter vielen anderen Entscheidungen, die etwa die nationale Sicherheit oder außenpolitische Themen betreffen.
Nach dem Gesetz, das nach dem Watergate-Skandal erlassen wurde, müssen alle Aufzeichnungen und Dokumente des Präsidenten und Vizepräsidenten archiviert werden und können fünf Jahren nach dem Ende der Amtszeit durch Gesuche nach dem Infomationsfreiheitsgesetz angefordert werden. Dokumente, die die nationale Sicherheit betreffen, können der Öffentlichkeit bis zu 12 Jahre vorenthalten werden. Am letzten Samstag hat eine Bezirksrichterin gegen Cheney
entschieden und in einer einstweiligen Verfügung
angeordnet, dass sein Büro alle - und nicht nur bestimmte - Aufzeichnungen und Dokumente aufheben und archivieren muss. In der Klage der Citizens for Responsibility and Ethics wurde davor gewarnt, dass Cheney Dokumente vernichten könnte. Das freilich könnte schon längst geschehen sein.(Querlle:Heise.de)
Labels: Die verschwundenen Emails aus dem Weißen Haus