Jürgen Roth, Experte für Korruption und Organisierte Kriminalität, in Sofia
Helikon heißt die größte Buchhandlung der bulgarischen Hauptstadt Sofia, sie befindet sich in einem ehemaligen Kino in unmittelbarer Nähe zum noblen Boulevard Vitoscha. Ihre spiralförmig aufsteigenden Verkaufsetagen ergeben bei Buchpräsentationen das Ambiente eines antiken Forums; an diesem Donnerstagabend im November sitzt der Frankfurter Autor Jürgen Roth in der Arena. In Deutschland bekannt für seine Bücher über Korruption und Organisierte Kriminalität sieht er sich nun einer guten Hundertschaft interessierter Sofioter gegenüber, um sein auf bulgarisch erschienenes Buch "Die Neuen Bulgarischen Dämonen" vorzustellen, seine Darstellung des Beziehungsgeflechts zwischen Politik, Wirtschaft und Organisierter Kriminalität in Bulgarien.
"Herr Roth, Sie befinden sich in der Höhle des Löwen", habe ihm am Morgen noch ein ehemaliger in Sofia tätiger Diplomat und Informant seines Buches per E-mail geschrieben, verrät Roth dem Publikum zu Beginn der Veranstaltung. Tatsächlich wird ihm bei der Buchvorstellung, wie überhaupt während seines dreitägigen Aufenthalts in Sofia, nicht ungeteilte Zustimmung zuteil, sondern auch harsche Kritik.
Gleich zu Beginn der Diskussion ergreift die prominente, wegen ihrer orthodox sozialistischen Weltsicht umstrittene Journalistin Velislava Dareva das Wort. Mit triumphaler Geste weist sie Roth auf in seinem Buch vorhandene Fehler hin und schenkt ihm ein Buch. "Bevor ein Autor zu schreiben beginnt, sollte er lesen!", giftet sie Roth an. Darevas Feindseligkeit erregt Protest im Auditorium, unter einem Teil der Zuschauer kann Roth mit Sympathie rechnen. "Herr Roth, wie fühlen Sie sich in der Höhle des Löwen", fragt einer. "Ich habe mich in Sofia immer wohl gefühlt", antwortet der. Über viele Jahre hinweg hat er Bulgarien auf Recherchereisen kennengelernt.
"Wie kommen Sie als Deutscher dazu, ein Buch über Bulgarien zu schreiben", fragt eine sich als Schriftstellerin vorstellende Frau. "Wir alle sind Bürger der Europäischen Union, so ist es normal, wenn ein auf das Phänomen grenzüberschreitender Kriminalität spezialisierten Autor, sich auch mit anderen Ländern befasst", erklärt sich Roth. Nach der Lesung bildet sich eine lange Schlage von Buchkäufern, die ihr Exemplar signiert haben wollen. Eine Woche nach ihrem Erscheinen liegen "Die Neuen Bulgarischen Dämonen" auf Platz 1 der nationalen Rangliste verkaufter Bücher.
Schmähungen, Drohungen, Entschuldigungen Die Popularität von Roths Buch muss einigen der in ihm beschriebenen Akteure missfallen. Mit der größten Wut reagiert Ex-Innenminister Rumen Petkov, dessen Wirken als Bürgermeiser der Stadt Pleven in Roths Buch breiten Raum einnimmt. Im April musste Petkov wegen bekanntgewordener Kontakte zu den als zwielichtig geltenden "Gebrüdern Galevi" seinen Ministerhut nehmen, nun droht er Roth Verleumdungsklage an und beschimpft ihn über die Medien als Lügner, "dem man auf die Finger und alle anderen Körperteile hauen sollte". Nationale und internationale Journalistenvereinigungen wie Reporter ohne Grenzen protestieren gegen Pekovs Ausfälle. Erst Ende September wurde der Chefredakteur des Online-Portals
Frognews, Ognjan Stefanov, in Sofia von vier Angreifern mit Hämmern halbtot geschlagen.
Journalisten aller Arten von Medien überreichen sich Jürgen Roth von Interviewtermin zu Interviewtermin. Der populäre Moderator Georgi Koritarov führt ihn in seiner Frühstücksendung "Sdravei Bulgaria (Guten Morgen, Bulgarien) im privaten Fernsehkanal Nova TV regelrecht vor, stellt ausschließlich auf tatsächliche und vermeintliche Schwachstellen seines Buches ab. Später beglückwünscht Rumen Petkov Koritarov, der in kommunistischer Zeit als Agent Albert der bulgarischen Staatssicherheit zugetragen hat, für seinen wenig zimperlichen Umgang mit dem deutschen Journalisten.
Eine gänzlich andere Strategie als Petkov verfolgt Sofias Bürgermeister Boiko Borissov im Umgang mit Roth. Der beschreibt in seinem Buch Borissovs Geschäftsbeziehungen in den 1990er Jahren zu als mafiös geltenden "Businessmen" und kritisiert, als Hauptsekretär im Innenministerium von 2001 bis 2005 habe Borissov kaum zur Verbrechensbekämpfung beigetragen. Noch kurz vor der Abreise nach Deutschland besucht Roth Borissov am Freitag; im Anschluss daran veröffentlicht Borissovs Pressestelle eine Erklärung, wonach Roth nunmehr von Borissovs Verdiensten überzeugt sei, und zitiert ihn mit den Worten: "Von heute an bin ich sein Unterstützer und wenn ich könnte, würde ich die Partei wählen, dessen Führer Herr Borissov ist." Borissov hegt Ambitionen, bei der im Juni 2009 anstehenden Parlamentswahl Ministerpräsident zu werden und hat Umfragen zufolge gute Chancen. "Die mir zugeschriebenen Worte sind völliger Unfug", dementiert Roth aus Frankfurt umgehend und sagt später auf Anfrage: "Ich hoffe, Boiko Borrissov war nicht für den Text der Presseerklärung verantwortlich, denn ansonsten wäre es reine Dummheit mit dem Ziel, meine sicher umstrittene Person zu diskreditieren."
"Entschuldigen Sie, Herr Roth", war am darauffolgenden Dienstag ein Kommentar von Milen Radev in
Dnevnik, dem seriösen Flagschiff der bulgarischen Tagespresse, überschrieben. Darin lässt der Autor Jürgen Roths eindrückliche Erlebnisse in Bulgarien Revue passieren und schreibt, Roths Erlebnisse im heutigen Bulgarien müssten alles von ihm in vergleichbaren Ländern erlebte übertroffen haben. Am selben Tag erscheint aber in Bulgariens auflagenstärkster Tageszeitung
Dneven Trud ein ganzseitiger Kommentar zu Roth, der dem, was bisher geschah, noch eines draufsetzt. "Ich habe schon im April über Roth geschrieben. Damals nannte ich ihn den 'famosen Germanen', obwohl sich herausstellen sollte, dass er ein famoser Lügner ist. Jürgen der Rote ist wirklich ein unwahrscheinlicher Betrüger", beginnt Kevork Kevorkians sein durchweg in beleidigendem Tonfall verfasstes Pamphlet. Im sozialistischen wie im post-sozialistischen Bulgarien war Kevorkian über viele Jahre hinweg als Moderator der Sonntagssendung Vsijaka Nedelja (Jeden Sonntag) eine Institution der bulgarischen Fernsehjournalistik, heute kommentiert er in einer regelmäßigen Kolumne in Trud das wöchentliche Fernsehgeschehen.
Zur WAZ-Gruppe gehörende Zeitungen beteiligen sich an der SchmähkampagneMit konkreter Kritik an Roths "Neuen Bulgarischen Dämonen" hält sich Kevorkian nicht auf, konzentriert sich ganz auf dessen pauschale Verdammung, bezeichnet "Jürgen den Roten" abwechselnd als "krank" und als "Lügner" und befindet: "Koritarov hat den roten Lügner zurecht zermalmt". In der Ära des Sozialismus so schreibt Kevorkian, hätte Roth Renommée erringen können, sei seine Herangehensweise doch "typisch für die bolschewistische Propaganda". Aus Kevorkians Feder muss dieser Befund überraschen, war er in der kommunistischen Volksrepublik Bulgarien doch nicht nur eine staatstragende Figur als Moderator, sondern auch als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Kevorkians Text weckt Erinnerungen an die sogenannte Batak-Affäre vor eineinhalb Jahren. Anhand eines berühmten Gemäldes, das das 1876 in dem Rhodopenstädtchen Batak von Türken an der bulgarischen Bevölkerung verübte Massakers darstellt, wollte Baleva eine kunsthistorische Diskussion über den "Mythos Batak" anregen. Viele bulgarische Medien, allen voran die zur WAZ-Gruppe gehörenden Tageszeitungen Trud und 24 Tschassa (Stunden) brandmarkten die bulgarische, an der FU Berlin wirkende Kunsthistorikerin Martina Baleva dafür als "Verräterin an der nationalen Kausa". Westliche Medien kritisierten die WAZ-Blätter für den Kampagnenjournalismus, der für Baleva bedrohliche Ausmaße annahm. Daraufhin kündigte WAZ-Chef Bodo Hombach an, die WAZ müsse ihren bisherigen Grundsatz der Nicht-Einmischung in die redaktionelle Linie ihrer bulgarischen Medien überdenken und verstärkt auf die Einhaltung der Standards der journalistischen Ethik achten. Vor wenigen Wochen organisierte die WAZ in Sofia noch einen internationalen Kongress zu dem Thema, nun muss Kevorkians Schmähartikel Zweifel wecken, inwieweit ethische Standards in der redaktionellen Arbeit der Trud verankert sind.
Um eine Stellungnahme zu dieser Frage gebeten, verlautete WAZ-Unternehmenssprecher Paul Binder.
Für den Inhalt unserer Zeitungen sind die Chefredakteure verantwortlich, was selbstverständlich auch für den Kommentar von Kevork Kevorkian gilt. Unser Haus respektiert die redaktionelle Freiheit, solange nicht gegen die freiwillige Selbstverpflichtung bzw. die ´Grundsätze zur Garantie redaktioneller Unabhängigkeit`, die wir mit der OSZE im Juli 2003 unterzeichnet haben, verstoßen wird. Das können wir in diesem Fall nicht erkennen. Darüber hinaus ist Jürgen Roth, dessen Buch von Herrn Kevorkian kommentiert wurde, bekanntermaßen ein äußerst kritischer Journalist, der hart austeilt. Wir nehmen nicht an, dass er überempfindlich ist.
Paul Binder
Lukoil-Oligarch und ein Fernsehmoderator
Jürgen Roth ist längst wieder in Frankfurt, doch sein Buch schlägt in Sofia weiter Wellen. Am vergangenen Freitag wurde der Frühstücksmoderator Georgi Koritarov von Nova TV unter dem Vorwurf des "Mangels an journalistischem Pluralismus und Missbrauch seines Sendeplatzes zur Verfolgung persönlicher Ziele" fristlos entlassen. Anlass für den Rausschmiss war ein Interview Koritarovs mit der Geschäftsführerin des Fernwärmeunternehmens der Stadt Pravets, Svetla Vassileva. Diese bekannte sich als Informantin von Jürgen Roth und bekräftigte Passagen in dessen Buch, wonach Pravets "die erste private Stadt" des Chefs des Mineralölunternehmens Lukoil Bulgaria, Valentin Slatev, sei.
Slatev baut in Pravets derzeit einen Golfplatz und wird in Bulgarien aufgrund seines Vermögens zur Kaste der Oligarchen gezählt. Nach Ausstrahlung der Sendung schrieb Slatev in einem Brief an die Geschäftsführung von Nova TV, Koritarov habe in den letzten Wochen vergebens versucht, ihn zu einem gemeinsamen Immobiliengeschäft überreden wollen. So sei das ausgestrahlte Interview mit Svetla Vassileva als Retourkutsche zu verstehen. Kann es tatsächlich sein, dass Koritarov seinen Sendeplatz für persönliche Zwecke missbrauchte oder aber ist Slatevs Brief ein Paradebeispiel der Einflussnahme eines Oligarchen zur Beseitigung eines kritischen Journalisten? Darüber wird in Sofia nun gestritten.
Zumindest in Koritarovs Augen hat Jürgen Roth inzwischen eine Rehabilitierung erfahren. "Ich muss mich bei Jürgen Roth entschuldigen. Mein professionelles Schicksal zeigt, dass er mit seinem Buch recht hat", sagte Koritarov nach seiner Kündigung. Die kontroverse Aufnahme seines Buchs in Bulgarien begrüßt Jürgen Roth: "Es kommt selten vor, dass ein Buch eine heftige Diskussion auslöst, dieses hat es gemacht und das ist das Wichtigste", sagt er und versichert, eine deutsche Ausgabe des Buchs werde erscheinen.
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