Dienstag, November 25, 2008

Kraftftwerk - Beats am Bundesgerichtshof

Kraftwerk verklagen den Produzenten Moses Pelham und erwirken ein Grundsatzurteil im Urheberrecht. Außerdem in der Musikpresseschau: McCartney will allen zeigen, dass die Beatles Avantgarde waren

Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit Popmusik, und alle sind in heller Aufregung! Endlich wurde ein überfälliges Grundsatzurteil zur Verwendung von Samples – also von Musiksequenzen anderer Künstler im eigenen Werk – beschlossen. Allerdings schützt es eher die wirtschaftliche und organisatorische Leistung des Produzenten als die kreative des Komponisten. Ein Eingriff in die Rechte des Tonträgerherstellers ist nach § 85 Abs. 1 des Urhebergesetzes bereits dann gegeben, "wenn einem fremden Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen werden“.

Dem Urteil war eine Klage der Düsseldorfer Band Kraftwerk vorausgegangen. Sie hatte den HipHop-Produzenten Moses Pelham beschuldigt, ungefragt eine Schlagzeugpassage aus ihrem Stück Metall auf Metall in dem Lied Nur mir von Sabrina Setlur verwendet zu haben. Kraftwerk bekamen recht – jedoch nur in ihrer Funktion als Tonträgerhersteller. Der BGH bewertete also das wirtschaftliche Risiko der Produktion, weniger den künstlerischen Wert der Aufnahme.

Die Sampling-Frage ist bedeutend für die Zukunft der Popmusik, denn heute wird viel geklaut, recycelt, dekonstruiert und neu kontextualisiert. Wird das Puzzeln fremder Klänge nun schwieriger? Wirklich deutlich sei das Urteil nicht, sagt der Musiker, DJ und Autor Hans Nieswandt auf Deutschlandradio Kultur. Er ist aber davon überzeugt, dass Moses Pelham kreativ mit dem Kraftwerk-Sample umgegangen ist und Neues hat entstehen lassen. Die Möglichkeit, als Musiker diese Kreativität auszuleben, sollte unbedingt gewährleistet bleiben, meint Nieswandt.

Ihm wäre es ein Graus, würden Musiker sich nun massenhaft gegenseitig verklagen. “Ich könnte mir vorstellen, dass es dann plötzlich so eine Juristensorte gibt, die nichts Besseres zu tun hat, als zu gucken, wen sie anschwärzen kann.“ Dem Urteil des BGH ließe sich auch ein positiver Aspekt abgewinnen: “Es ist eine recht lustige Vorstellung, dass Bundesgerichtshöfe sich mit Beats beschäftigen.“

Spiegel Online hingegen ist sich sicher: “Musikproduzenten, die viel sampeln, können nun erleichtert sein.“ Sie dürfen weiter fremde Tonfetzen verwenden. Rhythmuspartikel, Klänge, Geräusche: ja. Melodien: nein. Eine Zustimmung des Urhebers ist nicht erforderlich, wenn aus dem Puzzle ein eigenständiges Werk entsteht, das sich von der ursprünglichen Tonsequenz deutlich unterscheidet. Hier greife das Recht der “freien Benutzung“.

Haben Moses Pelham und Sabrina Setlur also Kraftwerk nur kopiert und keine eigene Kreativleistung erbracht? Das fragen sich Andrian Kreye und Jens-Christian Rabe in der SZ. In ihrem Artikel diskutieren sie außerdem, “inwieweit mit solchen juristischen Entscheidungen der Eigenart der Kunstform Popmusik Rechnung getragen wird“. Pop sei immer schon eine parasitäre Form gewesen, die sich vom Jazz bis Punk bei anderen Genres und schließlich sich selbst bedient habe.

Kompliziert sei besonders die Frage nach der Bedeutung des Versatzstücks im fertigen Lied. “Hinzu kommt, dass im Pop Rhythmen und Klänge denselben Stellenwert haben wie Melodien und Harmonien, auf denen Plagiatsverfahren bisher basierten.“ Die Sorge um den Stillstand des Pop sei jedoch unbegründet: Es sei niemanden benommen, für die Verwendung von Samples um Erlaubnis zu fragen. Außerdem werde, juristischer Grundsatz-Urteile zum Trotz, immer fleißig weitergepuzzelt.

Jedes Puzzleteil lässt sich zu Geld machen, oder? Im Jahr 1967 haben die Beatles 14 Minuten lang improvisiert und das Ganze Carnival Of Light genannt. Das Stück ist von Karlheinz Stockhausen und John Cage inspiriert. Paul McCartney möchte es jetzt veröffentlichen. Schon damals fanden seine Bandkollegen die avantgardistische Aufnahme zu gewagt, als dass man sie herausbringen könnte. “Es ist sehr frei. Die Beatles drehen ab“, gibt McCartney zu. “Aber die Zeit ist jetzt gekommen.“

Das sieht John Aizlewood vom britischen Guardian anders: “Wenn Carnival Of Light vor 40 Jahren nicht gut genug für eine Veröffentlichung war, dann ist es das jetzt auch nicht.“ Bestenfalls sei ein 14-minütiger Soundcheck zu erwarten. “Wir haben doch schon das Gesamtwerk der Beatles. Es hat alles verändert? Reicht das nicht?"

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