Montag, November 24, 2008

Piraten und Islamisten im "failed state" Somalia

Während vor der Küste Somalia immer mehr Kriegsschiffe eintreffen, erobern Islamisten große Teile des Landes und wollen angeblich auch die Piraten bekämpfen

Der Golf von Aden, die Küste vor Somalia, aber auch weiter in den Süden, sind derzeit die wilden Gewässer, in denen die meisten Überfälle von Piraten auf Schiffe geschehen. Das geht schon seit Jahren so, mit einer kurzen Unterbrechung 2006, als vorübergehend die Union der Islamischen Gerichte den "failed state" befriedete, aber schnell wieder von der äthiopischen Armee mit der Unterstützung der USA vertrieben wurde ([local] Somalia versinkt im Bürgerkrieg).

Seitdem lässt sich beobachten, dass sich die Piraterie in dem verarmten Land, das seine Küsten auch nicht vor internationalen Fischereiflotten schützen kann, die die Lebensgrundlage der somalischen Fischer untergruben, wie eine Epidemie ausbreitet. Dabei geht es nicht nur um das Geld, das man erpresst, sondern auch um eine Art der Selbstverteidigung, weswegen die Piraten durchaus in Somalia anerkannt werden, auch wenn sich über sie eine neue Struktur von organisierter Kriminalität etabliert. Mit den Erfolgen strömt Geld ins Land – allein dieses Jahre sollen die Piraten um die 150 Millionen Dollar an Lösegeldern kassiert haben. Damit können bessere Boote, Waffen und Kommunikationsmittel gekauft werden, wodurch die Piraterie effizienter wird, während die Piraterie als Erwerbszweig für mehr Menschen, vor allem für die jungen Männer, attraktiv. Hauptstützpunkt der Piraten, in aller Regel ehemalige Fischer, scheint Puntland zu sein.

Jeder Coup, zumal ein solcher wie die Entführung des saudischen Supertankers Sirius Star, für den die Piraten 125 Millionen Dollar Lösegeld fordern, wird neue Raubzüge nach sich ziehen. Und nachdem mehr Kriegsschiffe die Küste von Somalia und den Golf von Aden patrouillieren, verlagern sich die Aktivitäten weiter nach Süden und weiter in das Meer hinaus. Die gut ausgerüsteten Piraten sind hier mit "Mutterschiffen" unterwegs, von denen aus dann die Schnellboote für den Angriff starten. Das International Maritime Bureau (IBM) des ICC (International Chamber of Commerce) [extern] warnt vor einer neuen Gruppe von Piraten, die vor der Küste Kenias operiert und auf Schiffe nach Kenia oder auf der Route über das Kap der Guten Hoffnung abzielt. Überdies meldete das IBM, dass die Piraten "außer Kontrolle" seien.

Das ICC bietet neben wöchentlichen Berichten über Piraterievorfälle und Warnungen auch den Service einer fortlaufend ergänzte [extern] Live Piracy Map für das Jahr 2008. Hier wird der Ort dargestellt, an dem Schiffe gekapert oder angegriffen wurde. Zu den einzelnen Vorfällen gibt es weitere Informationen

Dabei fällt auf, dass es neben Somalia und dem Golf von Aden noch weitere Regionen der Piraterie gibt. Noch immer gibt es zahlreiche Vorfälle in der Straße von Malakka zwischen Malaysia und Indonesien, eine der wichtigsten Seeverbindungen der Welt für den boomenden Güter- und Rohstofftransport zwischen Ostasien und Europa und den Golfstaaten Hier ist aufgrund erhöhter Wachsamkeit der staatlichen Behörden die Zahl der Überfälle geringer geworden. Auch die Küste von Bangladesh wird von Piraten heimgesucht. Um die indonesischen Anambas-Inseln oder bei Belawan in Nordsumatra kommt es zu zahlreichen Überfällen, hier sind die Piraten auch mit Gewehren bewaffnet. Hier heißt es, dass viele Vorfälle möglicherweise nicht berichtet werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Westküste in Afrika, vor allem in den nigerianischen Gewässer.

In Somalia wird die Lage im Augenblick noch unübersichtlicher, da nun wieder die Islamisten vorrücken und auch direkt die Piraten bekämpfen – angeblich weil diese mit der Sirius Star ein arabisches Schiff entführt und vor dem somalischen Hafen Haradheer geankert haben. Die Hafenstadt selbst soll bereits von den Islamisten, hinter die sich kürzlich al-Sawahiri gestellt hat, kontrolliert werden, die nun ausgerechnet die militärischen Aktionen der westlichen Staaten zu unterstützen scheinen, obgleich sie von den Amerikanern bekämpft wurden und der Marine-Einsatz im Rahmen von Operation Enduring Freedom auch gegen sie gerichtet ist. Sheikh Abdirahim Isse Adow von der islamistischen Gruppe erklärte, die Kaperung eines saudischen Schiffs sei ein Verbrechen, und kündigte an, die Piraten auf dem Schiff vertreiben zu wollen. Die hatten allerdings vor Angriffen gewarnt und angekündigt, dass in diesem Fall die Folgen katastrophal seien.

Bei der islamistischen Gruppe, die die Gunst der Stunde und die Medienaufmerksamkeit nutzen will, um gegen die Piraten vorzugehen, handelt es sich um al-Shabaab (Jugend). Sie war die Kampforganisation der Union der Islamischen Gerichte, hat für diese Warlords, Piraten und andere Kriminelle bekämpft und bis zum Einmarsch der äthiopischen Truppen große Teile des Landes und der Küste sicherer gemacht. Letztes Jahr spaltete sich al-Shabaab ab und will nun nach dem Vorbild des ehemaligen Taliban-Regimes in Afghanistan in Somalia einen islamistischen Staat einrichten.

Wie im Irak oder in Afghanistan bekämpfen sich auch die islamistsichen Gruppen untereinander, um ihre Territorien abzustecken. So haben neben al-Shabaab auch andere Gruppen Teile von Somalia unter ihre Kontrolle gebracht. Im August hatte al-Shabaab die Einnahme von Baarheere [extern] gemeldet, einer Stadt im Südwesten im Inneren des Landes. Man sei um Hilfe gebeten worden, weil sich zwei Milizen in der Stadt bekriegen würden. Und die Islamisten erklätren: "When overwhelmed, communities living in provinces which mujahideen carry out security operations, always ask mujahideen to take part in peace keeping and providing security."

[extern] Kämpfe sind auch wieder in der ehemaligen Hauptstadt Mogadischu entflammt, wo Truppen der provisorischen Regierung einige Militante von al-Shabaab, die bereits einige Vororte besetzt haben und weiter vorrücken, erschossen haben sollen. Ob sich, wie vereinbart, die äthiopischen Truppen aus Somalia zurückziehen werden, nachdem die UN-Mission [extern] AMISOM mit 3.000 Soldaten aus Uganda und Burundi muss abgewartet werden. Ihre Präsenz hat die Islamisten gestärkt. Der nach dem Abkommen von Dschibouti mit dem Abzug erfolgende Friedensprozess, der auch Oppositionsgruppen einbeziehen soll, ist selbst zwischen dem Ministerpräsidenten der Übergangsregierung und dem Präsidenten [extern] umstritten.

Ganz klar ist jedoch nicht, ob die Islamisten tatsächlich gegen die Piraten vorgehen oder sich nur einen Anteil an dem erwarteten Lösegeld sichern wollen. Zudem [extern] scheinen in die Hafenstadt auch weitere bewaffnete Gruppen mit ähnlichen Absichten gekommen zu sein. Dass die fundamentalistische al-Shabaab gegen die Piraterie vorgehen wollen, könnte freilich auch darin mitbegründet sein, weil die für somalische Verhältnisse im Geld schwimmenden Piraten die moralische Ordnung gefährden. Schließlich wollen die Fundamentalisten die Scharia im Stil der Taliban einführen. Auch diese hatten auf Kosten von Freiheit und Freizügigkeit und mit religiösem Terror Afghanistan "befriedet" und den Opium-Anbau eingeschränkt, der heute wieder blüht und die afghanische Parallele zur somalischen Piraterie darstellt.

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