Loriot öffnet sein Privatarchiv
Was Vicco von Bülow alias Loriot für deutschen Humor und Fernsehkultur geleistet hat, kann man gar nicht hoch genug bewerten. In unzähligen Büchern, Zeichnungen, Sketchen und Filmen hat Loriot die Absurditäten des Alltags liebevoll aufs Korn genommen und gezeigt, dass hinter der wohlgeordneten Welt des Spießers das pure Chaos lauert.
Zum 85. Geburtstag des Gauklers und Zauberers, der am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel als Bernhard Victor Christoph Carl von Bülow geboren wurde, schenkt das Berliner Museum für Film und Fernsehen (Deutsche Kinemathek) Loriot eine großartige Ausstellung.
Die mit unzähligen Schaustücken aufwartende, über mehrere Stockwerke verteilte Schau spiegelt nicht nur Leben und Werk Loriots von den Anfängen bis heute. Weil die Leihgeber großzügig waren und Loriot sein Privatarchiv öffnete, ist Bekanntes genauso zu sehen wie Unbekanntes.
Der Gang durch die Ausstellung gleicht einem Flanieren durch sämtliche Lebens-Stationen und künstlerische Ausdrucksformen. Aus seinem Privatfundus emporgezogen wurden Selbstporträts des kunstwilligen jungen Mannes als Statist an der Staatsoper Stuttgart (1939/40) ebenso wie ganz neue, noch nie öffentlich präsentierte Zeichnungen und Aquarelle: „Nachtschattengewächse“ nennt Loriot seine surreal anmutenden Arbeiten, auf denen Friedrich Nietzsche und Cosima Wagner, Schiller und Goethe die berühmten Knollennasen tragen oder ein Gitarrenspieler und ein Klavier kubistisch zerlegt werden.
Wir sehen Werbe-Zeichnungen des Hamburger Kunststudenten und erste Karikaturen, die Loriot in den 1950er Jahren für Zeitschriften wie „Stern“ und „Quick“ anfertigte. Es gibt ein Wiedersehen mit den ZDF-Zeichentrickfiguren Wum und Wendelin, auf diversen Monitoren laufen die bekannten Fernseh-Sketche und Glanzlichter der von Marcel Reich-Ranicki so vehement angemahnten Fernsehkultur: der Lottogewinner, die Zimmerverwüstung, die Jodelschule.
Zu hören sind die legendären Floskeln, die längst Gemeinplätze der Alltagssprache geworden sind; „Ach was!“, „Bitte, sagen Sie jetzt nichts“, „Das ist fein beobachtet“. Ausschnitte aus den Kino-Filmen „Ödipussi“ und „Pappa ante Portas“, Drehbücher, Werk-Fotos, detailliert nachgebautes Set-Design. Der von Loriot benutzte Schneidetisch, Mitschnitte der von Loriot inszenierten Opernaufführungen („Der Freischütz“ für die Schlossfestspiele in Ludwigsburg, „Martha“ im Staatstheater am Münchner Gärtnerplatz).
Auf einer Scheibe rotiert das berühmte Biedermeier-Sofa, auf dem Loriot saß und mit verschmitztem Lächeln seine Sendungen moderierte. Hinter Glas liegen bizarre Devotionalien, Biergläser und -deckel, Kaffeebecher und Handtücher mit Loriot-Motiven.
Ein zur freien Benutzung ausgelegter Dirigentenstab verweist auf die nie erlahmte Opern-Leidenschaft des Meisters und soll, mit dem Blick auf den dirigierenden Loriot, den Besucher zu eigenem Musizieren animieren.
„Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“, so heißt eine Werkgruppe; eine andere widmet sich den „tierischen“ Aspekten des Humors und bebildert das schwierige Verhältnis von Mensch und Tier: Niemand wird je die von Loriot in eine Mondlandschaft drapierten Möpse vergessen oder die Plastik-Ente, mit der Loriots Knollennasenmann in der Badewanne hantiert.
Reinhold, das rote Nashorn, Herr und Frau Hoppenstedt, Dr. Müller-Lüdenscheid, sie alle sind – als Foto, Zeichnung, Film – von zeitlosem Vergnügen.
Wer nach den Exkursen über die deutsche Ordnungsliebe („Das Bild hängt schief!“) oder nach den Irrfahrten durch die Merkwürdigkeiten der deutschen Sprache noch immer nicht genug hat, findet in der ständigen Ausstellung des Museums die definitive Versuchung: Dort kann man alle Loriot-Sketche und -Cartoons in voller Länge sehen und hören: 117 Titel in 73 Stunden. Schlafsack nicht vergessen.
Labels: Loriot
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