Wiederkehr der Anti-Atom-Bewegung ?
Mit zahlreichen Blockaden haben Atomkraftgegner den Transport des Atommülls nach Gorleben so lange wie noch nie verzögert
Die elf TN85-Behälter mit hochradioaktivem Abfall sind erst in der Nacht auf den 11. November im überirdischen Zwischenlager Gorleben angekommen – einen Tag später als von der Polizei geplant. Am Abend des 7. November hatte der Transport die Plutoniumfabrik in La Hague verlassen. Antiatom-Aktivisten sehen in den vielen Gegenaktionen einen Erfolg und feiern die "Renaissance" der Bewegung.Die Scheunen haben sie für tausende Aktivisten geöffnet. Viele Landwirte im niedersächsischen Wendland wehren sich gegen das geplante Endlager für hochradioaktiven Müll. An den Straßen haben sie Puppen aus Stroh in Lebensgröße aufgestellt, Anti-Atom-Plakate aufgehängt und das Widerstandssymbol, ein großes gelbes "X", an Häuser gelehnt und in die Erde der abgeernteten Felder gerammt. Sie sind mit ihren Traktoren vorgefahren, liefern Stroh für die Sitzblockaden. Auch andere Bewohner der Region helfen mit. Sie informieren Neuankommende, spenden Milch, Schokolade und Gemüse. In Zeltküchen bereiten freiwillige Zwiebelschäler und Köche warme Suppen. Andere verteilen im Wald der Göhrde heißen Tee und Essen an die Aktivisten, die sich am Sonntag über 20 Stunden lang bei Nebel und Regen durch das Unterholz bewegten und immer wieder auf die Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg gelangten.
Trotz Polizeiketten auf Forstwegen drangen rund 800 Atomkraftgegner zwischen Leitstade und Govelin auf die Gleise. Wie Rehe in der Dämmerung sprangen sie gruppenweise durch die Polizeiabsperrungen und verschwanden wieder im Dickicht. "Unser Ziel ist nicht die Polizei, sondern wir wollen zu den Gleisen. Dort wollen wir die Transportstrecke unpassierbar machen", so ein Aktivist in dunkler Regenbekleidung. In zwei großen Gruppen waren sie am Sonntagmorgen vom Norden wie vom Süden losmarschiert, bei Polizeisperren fächerten sie sich in kleinere Gruppen auf, flossen wieder zusammen und trafen fast zeitgleich auf die bewachte Bahnstrecke. Dort setzten sich manche auf mitgebrachte Strohsäcke, andere zündeten kleinere Barrikaden an oder gruben die Schottersteine aus dem Bahndamm. Mit kleinen hydraulischen Lastenhebern gelang es ihnen auch, die tonnenschweren Schienen zu heben. Gleisarbeiter der Deutschen Bahn brauchten mehrere Stunden, um die Schienen wieder gerade zu bekommen, herausgedrehte Bolzen herbeizuschaffen und das Schotterbett wieder aufzufüllen.
"Bis heute weiß zudem niemand, wo die radioaktiven Abfälle sicher gelagert werden könnten"
Den Atomzug aufhalten konnten diese Aktionen des Konzepts Gemeinsam zum Zug kommen allerdings zunächst nicht. Der Transport befand sich Sonntagmorgen noch in Süddeutschland. Grund für die 15stündige Verspätung war eine Zugblockade an der deutsch-französischen Grenze. Bei Wörth hatten zwei Männer und eine Frau ihre Arme in unter den Bahnschwellen versteckten Betonblock befestigt. "Den Transport von hochradioaktivem Atommüll ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben nehmen wir nicht einfach hin. Ohne einen autoritären Staat und ohne Großkonzerne kann Atomkraft nicht funktionieren", sagten die Aktivisten.
Die Polizei brauchte mehrere Stunden, um die Atomkraftgegner von den Schienen zu bekommen, außerdem mussten danach die Gleise repariert werden. "Schon die Gewinnung und Aufbereitung von Uran verursacht große Umweltschäden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich auch schwere atomare Unfälle mit unschätzbaren Folgen nicht ausschließen lassen. Bis heute weiß zudem niemand, wo die radioaktiven Abfälle sicher gelagert werden könnten", so die drei jungen Aktivisten. Statt atomarer und fossiler Energiegewinnung fordern sie den ernsthaften Ausbau regenerativer Energien.
Am Sonntagabend gegen 21 Uhr dann passierte der Atomzug Lüneburg. Die kleinen Bahnhöfe in Richtung Dannenberg hatte die Polizei schon Tage vorher mit Absperrgittern - sogenannten Hamburger Reitern - Flatterband und scharfkantigem S-Draht gesichert. Den größten Sicherungsaufwand betrieb die Polizei an der Seerauer Eisenbahnbrücke, die dort die Bahnstrecke über die Jeetzel führt. Dort sind Absperrungen sogar durch das Wasser gezogen worden, außerdem wurde die Umgebung scharf bewacht und in der Nacht mit großen Scheinwerfer-Anlagen ausgeleuchtet. Die Brücke war vor einigen Jahren im Vorfeld eines Castor-Transportes durch ein Feuer beschädigt worden. Damals waren umfangreiche Instandsetzungsarbeiten nötig, um die Brücke für den mehrere hundert Tonnen schweren Atommüll-Transport wieder passierbar zu machen.
Auf der Strecke bis Dannenberg kam der Zug nur langsam voran. Hubschrauber leuchteten die Gegend aus. Sitzblockaden kurz vor dem Bahnhof Dahlenburg und eine Abseilaktion von der Brücke der B 216 südwestlich Nahrendorf verzögerten die Fahrt zur Umladestation. Nach Störaktionen in der Göhrde fuhren die Behälter mit insgesamt 14 Stunden und 23 Minuten Verspätung in Dannenberg ein.
Strahlung stärker als bei früheren Transporten?Dort wurden sie in der Nacht vom Zug auf Sonder-Lkws geladen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte eine starke Wärmeentwicklung festgestellt und eine höhere radioaktive Strahlung als bei den vorherigen Castortransporten gemessen (Greenpeace: Infrarotbilder zeigen, dass der Atommüll radioaktiver als bislang ist) sei noch in 14 Meter Entfernung 500-mal höher ist als die zuvor gemessene Neutronenhintergrundstrahlung, so die Umweltschutzorganisation. Vermutlich liege die Strahlung innerhalb der Grenzwerte. Doch wer sich in direkter Nähe der Behälter aufhalte, erreiche trotzdem innerhalb von wenigen Stunden die zulässige Jahresdosis, so Greenpeace. "Die Belastung des Begleitpersonals, der Anwohner und der Demonstranten ist unverantwortlich", sagt Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace. Eine Sprecherin des niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz sagte nichts dazu, ob die Strahlung höher als sonst liege. Sie informierte lediglich darüber, dass die bei allen drei in Dannenberg gemessenen Behältern die zulässigen Grenzwerte für die Oberflächendosisleistung (Gamma- und Neutronenstrahlung) unterschritten seien (Niedersächsisches Umweltministerium veröffentlicht Messwerte von Atommüllbehältern).
Bereits am Freitag hatten die ersten Aktionen und Blockaden in der Region begonnen. Über 16.000 Menschen fanden sich dann am Samstag in Gorleben ein. Dort demonstrierten sie mit Treckern, Strohpuppen und Transparenten gegen den Transport von elf Atommüllbehältern und den Weiterbetrieb von Atomanlagen. Im Vergleich zu den Jahren zuvor waren auffällig viele Fahnen der Grünen und der Grünen Jugend zu sehen. Zudem reihte sich Polit-Prominenz der Grünen – Claudia Roth, Renate Künast, Cem Özdemir, Christian Ströbele – in den Protestzug zum Zwischenlager ein. Damit handelten sie sich einige empörte Reaktionen anderer Demonstranten ein, die daran erinnerten, dass Bündnis90/Die Grünen, als sie noch an der Regierung waren, den wackligen Atomkonsens mitgetragen haben.
"Ich sage nur Ahaus, und nicht zu vergessen, auch die Grünen haben Castortransporte durchgeprügelt, als sie an der Macht waren", schimpft ein Demonstrant mit langen Haaren. Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die zur Großdemonstration in Gorleben aufgerufen hatte, dagegen sagte, dass er sich über alle Teilnehmer freue.
Nach der Demonstration gelang es Aktivisten von X-tausendmalquer die Zufahrt zum Zwischenlager in Gorleben zu blockieren. Unter dem Motto "Wir sind gekommen, um zu bleiben" campierten rund 1000 Menschen von Samstagnachmittag an die Straße vor dem Tor. In Schlafsäcke und Decken eingehüllt verbrachten sie auch zwei Nächte vor dem Zwischenlager. Jochen Stay von X-tausendmal quer: "Die Anti-Atom-Bewegung ist wieder da. Die Aktionen der letzten Tage und Stunden zeigen, dass sehr viele Menschen bereit sind für den versprochenen Ausstieg aus der Atomkraft mit großer Entschlossenheit zu engagieren. Der Widerstand zeigt, womit zu rechnen ist, wenn der Ausstieg nicht endlich realisiert oder weiterhin Frage gestellt wird."
Vielfältige Hindernisse, Abseilaktionen und Kleinblockaden
Am Montag um 13.15 Uhr begann die Polizei mit der Räumung der Sitzblockade. Die über 1200 auf der Straße sitzenden Menschen wurden einzeln aus der Blockade getragen, zum Teil geschleift. Bei der teilweise ruppigen Räumung wurden einige Atomkraftgegner verletzt. "Die Polizei hat medienkompatibel geräumt," so Julian Bank von X-tausendmal quer. Vor laufenden Kameras seien Aktivisten getragen worden. Wenn die Kameras weg waren, habe die Polizei den Blockierenden auch die Arme umgedreht und Schmerzgriffe angewendet, so Bank. Die geräumten Blockierer wurden in einen Bereich abseits der Blockade gebracht und mit Hundesstaffeln daran gehindert, wieder auf die Straße zu gehen.
Allerdings konnte der abfahrbereite Straßentransporter den Verladebahnhof in Dannenberg immer noch nicht verlassen. Aktivisten von Robin Wood hingen mit Seilen und Transparenten an Bäumen, vor der Ausfahrt des Verladekrans in Dannenberg haben sich zwölf Greenpeace-Aktivisten an einen Sattelschlepper angekettet, mehrere hundert Menschen und zahlreiche Traktoren blockierten die Straße. In Grippel haben sich zudem acht Aktivisten der Bäuerlichen Notgemeinschaft an zwei Betonpyramiden gekettet. Die Polizei benötigte fast zehn Stunden, um die Straße in Grippel freizubekommen.
Es hätte auch schneller gehen können: Die Aktion wäre abgebrochen worden, wenn es zu einem Gespräch mit einem Entscheidungsträger der Landesregierung gekommen wäre, so wie es die Aktivisten gefordert hatten. "Es geht uns nicht darum, uns gegenseitig zu ruinieren", sagt Monika Tietke, Sprecherin der Bäuerlichen Notgemeinschaft, einem Zusammenschluss, der sich mit Traktoren und anderen Mitteln gegen die Atom-Pläne wehrt.
Alle seien überstrapaziert, viele Polizeibeamte seien zudem wegen den erhöhten Messwerten beunruhigt. Die Atomkraftgegner hätten teilweise zwei Nächte nicht mehr geschlafen. "Wenn wir einen Dialog herstellen könnten, wäre es für uns am Besten. Da würde doch keiner sein Gesicht verlieren", so Tietke. Offenbar setzte man in der Landesregierung eher auf die Polizei als auf ein Gespräch.
Ungezählt bleiben die vielfältigen Hindernisse, Abseilaktionen und Kleinblockaden. Die Atomkraftgegner haben es geschafft, den Transport so lange zu verzögern wie noch nie. Die Polizei hatte enorme Probleme, die Straßen freizuhalten und geeignetes Gerät einzusetzen, um die Kletteraktivisten von Brücken und Bäumen zu holen und Betonblockaden zu beseitigen.
Für die Aktivisten ist der Transport 2008 ein Erfolg. Ihr Ziel, den Zug möglichst lange aufzuhalten, die Kosten in die Höhe zu treiben und Öffentlichkeit über ihre Sache zu informieren, haben sie erreicht. Für die Politik und die Polizei dürfte der Transport 2008 ein Debakel sein. Noch ist unklar, wie teuer der Transport wird. Das könne man erst in einigen Wochen sagen, wenn alle Rechnungen der anderen Länderpolizeien für Sprit, Überstunden, An- und Abfahrten , Verpflegung in Hannover eingetroffen seien, sagte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums.
Die Kosten für den Einsatz von über 11.000 Polizisten übernimmt weitgehend das Land Niedersachen. Die Kosten für die Bundespolizei, die mit etwa weiteren 7.000 Beamten im Einsatz war, trägt die Bundesregierung. Die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS)für die Atomenergie-Konzerne die Transporte abwickelt, kommt nur für die Behälter auf. "Wie bei jedem Fußballspiel auch, musse Polizei für den sicheren Ablauf sorgen. Weder die Sportvereine noch die Transportgesellschaft brauchen dafür zu bezahlen", so der Sprecher.
Die Kosten für den gefährlichen Abfall der vier großen rksbetreiber E.on, RWE, EnBW und Vattenfall, die jedes Jahr große Gewinne verbuchen können, trägt die Allgemeinheit.
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