Märtyrer wider Willen
Ein 19-jähriges Opfer einer Bluttat wird zum "Kameraden" verklärt. Neonazis aus ganz Deutschland gedenken "ihres" Opfers und wollen den Hass auf Migranten auf die Straße tragen
Ausgerechnet Stolberg , unter Szenekennern die "braune Hochburg" überfielen rund fünfzehn mit Knüppeln bewaffnete Vermummte ebenso viele Antifaschisten nach einem Konzert und jagten sie als "Zecken" durch die Straßen. Und nun ersticht ein Migrant in Stolberg einen jungen Mann, der zuvor ein NPD-Mitglied von einer rechten Versammlung abgeholt hatte. Das Opfer, es wurde nur 19 Jahre alt, wird seitdem als "Kamerad" verklärt, dessen Tod "nicht umsonst" gewesen sei. Doch Freunde und die Eltern des Toten verbieten sich diese "Lügen" im Kreis Aachen. Zwei Vertreter der NPD und ein Hospitant der DVU bilden im Rat die einzige NPD-Fraktion in ganz Nordrhein-Westfalen. Im Herbst 2007
Laut Polizei wurde der 19-Jährige am 4. April 2008 gegen 23 Uhr niedergestochen und erlag wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Tat in der Stolberger Innenstadt sei als Folge von Sicher sei bislang, sagte Deller auf Anfrage von Telepolis, dass der Grund für die Tat "nicht im politischen, rassistischen oder einem ähnlich gelagerten Bereich liegt". Man vermute derzeit, dass die Bluttat Folge des schon länger schwelenden Streits zwischen dem unterdessen gestellten 18-jährigen Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund und seinem Opfer gewesen sei. Auszuschließen sei nach bisherigem Kenntnisstand, dass die Gruppe um den Täter gezielt das 17-jährige NPD-Mitglied angegriffen habe, das sich in der Gruppe des Opfers befand, sagte Deller. Und selbst Willibert Kunkel, Stolberger Ratsmann und Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Aachen, sagte, das Opfer habe mit der rechten Szene nichts zu tun gehabt. Er habe an dem Abend nur seinen "Kumpel" von der NPD-Versammlung abgeholt. Rund 700 Meter entfernt hätten dann "fünf Ausländer" angegriffen. Die Tat sei verwerflich, aber es handele sich wohl um "einfaches Rowdytum" und "keine politisch motivierte Tat."
Neonazis aus der Region Aachen und dem Rheinland sowie der Vorsitzende des NPD-Kreisverbands Düren, Ingo Haller, sahen das anfangs noch anders. Haller mobilisierte noch in der Nacht mittels Rundmails eine Mahnwache, weil "ein Kamerad von 4 Türken getötet worden" sei. Unter der Überschrift "Nationalist nach NPD Stammtisch getötet" mobilisierten zugleich Neonazis aus der Rhein-Ruhr-Schiene zur Teilnahme. Rund 170 Neonazis
Auf einer NPD-Demonstration in Weimar
Unterdessen haben die "Freien Kräfte" rund um den Hamburger Multifunktionär Christian Worch zu einem Aufmarsch unter der Parole
Was Stolberg bei diesen Aufmärschen erwartet, und wie Neonazis trauern, konnte man am 5. April schon erleben. Bei ihrer Spontandemo skandierten die Neonazis Parolen wie "Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!" Vor Ladengeschäften von Migranten brüllten sie aggressiv: "Wir kriegen euch alle!" Einen "Nationale[n] Sozialismus – Jetzt!" forderten sie. Vor einigen Läden von Migranten entlud sich die Wut dann abermals und die Neonazis riefen mit geballten Fäusten den hinter den Scheiben und Türen stehenden Migranten zu: "Türken haben Namen und Adressen. Kein Vergeben, kein Vergessen!"
"Menschen, nicht Ausländer, Menschen" Längst mühen sich die Freunde des getöteten 19-Jährigen, den Neonazis das Wasser abzugraben. Unterdessen haben sie eigene Mahnwachen am Tatort abgehalten. Sie verwehren sich dagegen, dass das Opfer ein Rechtsextremist und Neonazi gewesen sei. Offenbar haben dies
Doch längst ist der Mythos in der braunen Welt verbreitet, dass da ein "Kamerad" hinterhältig von Migranten ermordet wurde. Das 17-jährige NPD-Mitglied, welches sich zudem im Umfeld der ANs und der rechtextremen Fußball-Fans von Alemannia Aachen bewegt, verfügte nach "Telepolis"-Recherchen über zahlreiche Freunde außerhalb der Neonazi-Szene. Lange hatte sich der junge Mann nach außen hin nicht als Neonazi zu erkennen gegeben. Sogar auf seiner Schule, an der antifaschistische und interkulturelle Projekte stattfinden, blieb er als Schülersprecher lange als Neonazi unerkannt. Anzunehmen dürfte sein, dass der Jugendliche das Opfer als "Kumpel" (Kunkel), jedoch nicht als "Kamerad" ansah – auch wenn die Polizei mitteilte, dass das "Tatopfer […] nach bisherigem polizeilichem Kenntnisstand eine Affinität zur rechten Szene hatte."
Längst scheint auch verschiedenen Neonazis zu dämmern, dass sie einen jungen Mann zum "Märtyrer der Bewegung" verklären, obschon das Opfer wohl kaum einer der ihren war. Das Neonazi-Portal "Altermedia" bemühte in
Auch im SchuelerCC könnten Neonazis erkennen, dass unter den Freunden des 19-Jährigen viele Migranten sind – aber wieder keiner der regionalen Neonazis. Und die Freunde des Opfers teilen dort etwa mit, es sei "echt krank, dass jez die rechtsextremisten diesen mord für ihre propaganda ausnutzen um so neue aufruhr zu erzeugen." Eine Freundin schreibt: "viele leute labern nur müll [...] die haben einfach keine ahnung was sie sagen". Ein Freund mit Migrantionshintergrund schreibt: "und davon mal begesehen das [...] nicht rechts war sondern jede menge ausländische freunde hatte."
Doch große Teile der Neonazi-Szene interessiert das nicht. Sie stellen Sonderseiten zum Tod ihres "Kameraden" ins Internet, basteln virtuelle Todesanzeigen mit Lebens- und Todesrunen statt Sternchen und Kreuzen zur Kennzeichnung des Geburts- und Todesdatums. Zahlreiche Spontanaktionen – "Mahnwachen", Aufmärsche und Flugblattaktionen – gab es in deutschen Städten schon. Den von ihnen selbst aufgebauten "Märtyrer" geben sie vorerst offenbar nicht mehr her.
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