Mittwoch, April 09, 2008

Nichts zu lachen: Alltag in einem Münchner Lidl-Markt

Die Mitarbeiter sagen lieber nichts, die Kunden lassen sich von dem Skandal nicht beirren Macht 17 Euro 21, sagt die junge Frau an der Kasse. Ein Kunde, eckige Brille, Zopf, gibt ihr einen blauen 20-Euro-Schein und kramt im Münzfach seines Portemonnaies. Einen Moment bitte, sagt er, 21 Cent habe er. Zu spät, schon drückt ihm die junge Frau an der Kasse das Wechselgeld in die Hand, denn es muss schnell gehen, bei Lidl an der Dachauer Straße in München-Moosach. Oder wie der Kunde sagt: "Die fertigen einen ab wie am Fließband."

Er muss es wissen. Fünf Tage die Woche arbeitet er am Fließband, ein paar Kilometer weiter im BMW-Werk, und montiert Türen des neuen Dreiers. Jeden Samstag steht er bei Lidl am Warenband und wartet.
Es dauert. Von den fünf Kassen sind an diesem Tag nur drei besetzt. Unter dem grellen Licht der Neonröhren warten die Kunden mit ihren Einkaufswagen geduldig, bis sie drankommen, bei einer der Frauen an der Kasse, die alle einen blauen Lidl-Sweater tragen müssen.

Von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends sitzen sie da, in ihrer blauen Arbeitskluft, zurzeit unter besonderer Beobachtung. Die Kunden schauen schon genau in die Gesichter der Lidl-Kassiererinnen. Sie wollen wissen, wie jemand aussieht, der vielleicht auch vom eigenen Arbeitgeber bespitzelt wurde. Doch die Gesichter der Frauen an den Kassen sind ausdruckslos. Kein Lächeln, nicht mal ein leichtes Schmunzeln ist ihnen zu entlocken, als ein Kunde im Holzfällerhemd einen guten Witz erzählt. Vielleicht kennen sie den aber auch schon, den Mann im Holzfällerhemd und seinen Witz. Na ja, wenigstens die Leute in der Warteschlange hatten was zu lachen.

Fragt man die Frauen an der Kasse, wie lange sie heute schon hier sitzen, bekommt man einen ernsten Blick zugeworfen und zwei Worte: "Seit acht". Kommunikation mit den Kunden ist in diesen Tagen wohl nicht gewünscht von Lidl-Mitarbeitern. Aber wer spricht schon gerne über seinen Job, wenn man Angst vor seinem Arbeitgeber haben muss?

"Aldi-Qaida ist überall"
Was sagen also die Kunden? Auf dem Parkplatz vor dem Lidl-Markt lädt ein junges Paar seine Einkäufe in den Kofferraum. Beide tragen Bluejeans und schwarze Pullover - sie mit "Playboy Bunny"-, er mit "Pitbull Germany"-Aufdruck. Sie sagt: "Es ist doch egal, ob wir bei Lidl oder Aldi einkaufen, es ist doch überall dasselbe." Er sagt: "Eben. Aldi-Qaida ist überall." Die beiden können es sich nicht leisten, ihren Wocheneinkauf woanders zu machen. Bei Lidl ist es eben günstig. Die Landliebe-Butter, zum Beispiel, gibt es dort "In Aktion: 30 Prozent billiger!" In einem Bio-Laden war das junge Paar noch nie, zu Tengelmann gehen sie nur für ihre kranke Großmutter. Die möchte ihre Lebensmittel nur von dort, weil sie ihr Leben lang bei Tengelmann eingekauft hat.

Auch der Mann mit der eckigen Brille, der bei BMW am Band arbeitet, sagt, er habe keine Sekunde nachgedacht, nicht mehr zu Lidl an der Dachauer Straße zu fahren: "Wenn ich woanders einkaufe, verlieren die Lidl-Mitarbeiter doch ihren Job. Die sind eh schon arm genug dran." Nach seinem Einkauf bei Lidl fährt er mit seinem tiefergelegten Dreier BMW auf die andere Straßenseite zu Burger King mittagessen. Vielleicht trifft er sich nachher mit seinem Kumpel noch im Paradiso Spielcenter nebenan zum Pokern, wer weiß.

Hier im Münchner Norden, wo die Wohn- und Gewerbeblocks an der Dachauer Straße hohe dreistellige Nummern tragen und der Autobahnring nicht weit entfernt ist, gibt es vier Supermärkte auf engstem Raum. Auf der einen Straßenseite: Aldi und Hit; auf der anderen: Plus und Lidl. Auf den Parkplätzen vor den Lebensmittelketten stehen überall ungefähr gleich viele Autos. Es scheint den Einkäufern nichts auszumachen, dass Lidl schlechte Schlagzeilen hat. Der Parkplatz vor dem Lidl-Markt ist auch kurz vor acht Uhr abends noch sehr gut belegt.

Unter dem Vordach des Lidl-Marktes steht ein junger Mann. Auch er trägt einen blauen Mitarbeiter-Sweater und packt Altpapier in einen durchsichtigen Plastiksack. Bei Lidl an der Dachauer Straße räumt er die Regale ein und kümmert sich darum, dass leere Kartons umweltgerecht entsorgt werden, wie er sagt. Verkäufer gibt es bei Lidl nicht. Es gibt nur Menschen, die an der Kasse sitzen, Regale einräumen oder Paletten stapeln. Mehr braucht es nicht.

Lästige Fragen

Der junge Mann möchte zum Skandal seines Arbeitgebers nichts sagen. Es ist ihm, das merkt man, peinlich. Sein Blick ist eine Mischung aus Verzweiflung und Verstörung. Verzweifelt wegen seiner Lage, verstört wegen der lästigen Fragen. Hastig schnürt er den vollen Plastiksack zu und legt ihn auf den Boden, es muss ja schließlich schnell gehen, hier bei Lidl an der Dachauer Straße.

Die Neonröhren über den Kassen leuchten noch grell, als die letzten Kunden ihren Einkaufswagen unter das Vordach des Lidl-Marktes stellen, in ihr Auto steigen und wegfahren. Die meisten von ihnen werden wohl wiederkommen, spätestens nächsten Samstag wieder am Warenband stehen und warten.


Labels:

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite