Dienstag, Februar 19, 2008

SECUROTY - Sexgötter, Porschefahrer, SMS-Schnorrer

Sie wollen Ihren Sextyp ermitteln? Ahnenforschung betreiben? Porsche-Testfahrer werden? Scheinbar kostenlose Online-Dienste können teuer werden. Zehntausende sind schon auf Lock-Seiten hereingefallen. SPIEGEL ONLINE folgte den Spuren eines Internet-Angebots aus der Schweiz.
Die Briefe, die sich auf den Schreibtischen deutscher Verbraucherschützer stapeln, lesen sich immer wieder gleich: Internet-Surfer jammern, weil sie "einfach nur mal was ausprobieren wollten". Sie wollten sich in eine Porsche-Testfahrerkartei eintragen lassen. Oder ihren Sex-Typ herausfinden. Oder ein paar kostenlose SMS verschicken.
Dagny H. wollte schon immer mehr über die Herkunft ihres Namens herausfinden. Die 27-jährige Studentin aus Potsdam meldete sich auf "Genlogie.net" an und erfuhr, dass sie am gleichen Tag wie Stalin Geburtstag hat. Dass ihr Vorname aus dem Schwedischen kommt und soviel wie "organisiere dich selbst" heißt. Im mitgelieferten Horoskop wird ihr Pech in der Liebe, aber finanzielles Glück versprochen. Das stimmte nicht so ganz, denn die Bescherung kam wenig später per Post - in Form einer Rechnung über 60 Euro. Die Internet-Surferin hatte bei der Anmeldung das "Kleingedruckte" überlesen. Darin war zu lesen, dass der Service fünf Euro im Monat kostet und die Datenbank direkt für zwölf Monate abonniert wurde.
Dagny H. ist kein Einzelfall - immer mehr Deutsche fallen auf dubiose Bezahl-Angebote im Internet herein. Zehn der bundesweit 16 Verbraucherzentralen-Verbände machten von Januar bis Ende September 2007 Inventur über die Zahl der eingehenden Anfragen wegen Internet-Abzocke: Sie allein kamen auf 62.000 Fälle. Die Verbraucherzentralen gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl noch weit höher liegt, denn längst nicht alle Geschädigten finden den Weg zu den Bürger-Beratern. Viele der Rechnungen und Mahnungen sind den Betroffenen peinlich - sie zahlen, um Nachfragen zu vermeiden.

Abzocke ist ein boomendes Geschäft

Dabei sind viele der Forderungen völlig aus der Luft gegriffen. Die Online-Umfrage der Verbraucherzentralen ergab, dass die ahnungslosen Internet-Nutzer durchschnittlich 120 Euro bezahlen sollten. Ein Viertel der Betroffenen soll minderjährig gewesen sein: "Das Problem gewinnt enorm an Bedeutung", sagt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW.
Im Angebot haben die Anbieter so ziemlich alles, was das Surfer-Herz begehrt: kostenlose Produktproben, Intelligenztests oder Lebenserwartungsprognosen. Die "Abzocke" dahinter verläuft immer nach dem gleichen Muster: Damit der Benutzer an den Online-Aktionen teilnehmen kann, muss er zuvor seine Postanschrift mitteilen. Eine Bankverbindung wird nicht gefordert, denn die Rechnung kommt im Briefumschlag.
Besonders viel Arbeit bereitet den Verbraucherschützern die Internet Service AG mit Sitz im schweizerischen Rotkreuz. Das Unternehmen hat so ziemlich alles für den unterhaltungslustigen Webnutzer im Angebot - sie trägt ihn in Porsche-Testfahrerkarteien ein, berechnet seine Lebenserwartung, findet seinen Sex-Typ heraus - und veranlasst gefährlich klingende Mahnschreiben, falls die zukünftigen Testfahrer, Hundertjährigen oder Sexbomben nicht zahlen.
Wer sich vor Ort über die Abzocke beschweren will, bekommt keinen Verantwortlichen der Internet Service AG zu Gesicht. Das Handelsregister Zug weist als aktuelle Verwaltungsratsvorsitzende eine gewisse Yvonne Elisabeth M. aus, wohnhaft in Hüttikon. Ihre Postanschrift wird nicht genannt – nach dem telefonischen Umweg über die Gemeindeverwaltung steht jedoch fest, wo die Vorsitzende logiert.

Firma ohne Gesicht

Eine Rundreise durch die schweizerische Pampa beginnt. Das Anwesen der Verwaltungsratsvorsitzenden ist ein kleines Häuschen am Rande des Ortes mit ungepflegtem Garten und Sechziger-Jahre-Tristesse. Vor dem Haus steht ein rostiger Kleinwagen - sieht so das Dienstfahrzeug einer Vorstandsvorsitzenden aus?
Die Tür öffnet niemand. Wer in der Nachbarschaft klingelt, lernt Schweizer Diskretion kennen - reden möchte fast niemand. Die einzige Auskunft eines Anwohners: Es hätten hier schon andere erboste Deutsche umsonst gewartet
Auch im "Servicecenter" der Internet Service AG in Rotkreuz, etwa 60 km von Hüttikon entfernt, wird Kundennähe nicht unbedingt groß geschrieben. Im ersten Stock eines Bürokomplexes hat das Unternehmen ein Büro angemietet. Eine schwarzhaarige Frau verschwindet im Nebenzimmer. Ob Sie das Klopfen und Klingeln nicht hört? Oder gar keinen Service anbietet? Das ist gut möglich, denn wer die Telefonnummer des schweizerischen Servicecenters wählt, landet im benachbarten Liechtenstein.


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