GENITALVERSTÜMMELUNG - 19.000 beschnittene Frauen in Deutschland
Berlin - Hilflos liegt das kleine Mädchen auf einem Bett. Ihre Beine sind auseinander gebunden. Sie soll beschnitten werden. Das Foto ist in einem afrikanischen Land aufgenommen. Vor allem in Afrika werden jedes Jahr Hunderttausende Mädchen Opfer von Geschlechtsverstümmelungen. Im Namen der Tradition wird ihnen die Klitoris entfernt. Oft mit Rasierklingen, Scheren, Messern. Oft ohne jede Betäubung.
Weltweit sind 140 Millionen Frauen und Mädchen beschnitten. Drei Millionen kommen jedes Jahr hinzu, die allermeisten sind zwischen 4 und 14 Jahre alt. Manche sind noch Babys. Die Beschneidung ist der Beginn eines oft lebenslangen Leidens - Schmerzen und psychische Probleme sind die Folgen. Viele beschnittene Mütter oder ihre Babys sterben bei der Geburt. "Wir müssen uns bewusst machen, wie viele Frauen weltweit beschnitten sind", sagt Kerstin Lisy von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) heute in Berlin. "Zum Vergleich: Knapp 40 Millionen Menschen sind HIV-infiziert."
Auch in Deutschland leben Tausende beschnittene Frauen und Mädchen - 19.000, schätzt die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Um ihnen zu helfen und Verstümmelungen zu verhindern, trafen sich jetzt in Deutschland erstmals Politiker, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Experten aus Afrika zu einer Konferenz über das Thema. Im Publikum: viele afrikanische Frauen, die Botschafterin von Mali, Fatoumata Siré Diakite, und Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul.
Die allermeisten beschnittenen Mädchen und Frauen in Deutschland sind in ihrem Heimatland verstümmelt worden - viele während des Sommerurlaubs in Afrika. Geschlechtsverstümmelungen sind nach Angaben der GTZ allerdings auch in Deutschland schon geschehen: entweder in afrikanischen Gemeinden selbst organisiert, oder sogar von deutschen Medizinern durchgeführt.
"Das Thema gehört nicht nur nach Afrika"
Es ist sehr still, als Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes, die Geschichte der 25-jährigen Somalierin Kadija erzählt, die vor 15 Jahren aus ihrer Heimat nach Deutschland kam. "Vor kurzem war sie das erste Mal in ihrem Leben bei einer Gynäkologin. Die hatte so etwas Schreckliches noch nie gesehen und die junge Frau gefragt, wer ihr so etwas angetan hat", sagt Stolle. "Aber für Kadija war es seit ihrer frühesten Kindheit normal, dass ihre Geschlechtsteile verstümmelt sind."
Die somalische Autorin Fadumo Korn fordert: "Die Zeit ist reif, dass endlich verstanden wird, dass das Thema nicht nur nach Afrika gehört." Stolle fordert die deutsche Politik auf, es nicht länger dem Zufall zu überlassen, ob hier lebende beschnittene Frauen angemessen betreut werden. Viele Ärzte seien zu wenig sensibilisiert und geschult.
Kerstin Lisy von der GTZ verlangte, "von Afrika zu lernen. Es lohnt sich, einen Blick auf erfolgreiche Aktionen dort zu werfen". Einige Dörfer wehren sich dort kollektiv gegen die Beschneidung bei Mädchen und Frauen. Man müsse die beschnittenen Frauen oder Mädchen in den Blick nehmen, denen Genitalbescheidung noch droht und die in Deutschland leben. "Integration muss als Chance dafür genommen werden, weibliche Genitalverstümmelung zu verhindern. Wenn Migranten sich nicht willkommen fühlen, kann es passieren, dass diese Praktik hier in Deutschland an Bedeutung gewinnt", sagt Lisy.
"Signal für alle!"
Das neue Zuwanderungsgesetz, das Anfang 2005 in Kraft trat, hat die Situation für bedrohte Frauen in Deutschland schon verbessert - das betonen die Experten. So sind geschlechtsspezifische Bedrohungen wie die Genitalbeschneidung im neuen Gesetz als Asylgründe anerkannt. In den vergangenen zwei Jahren bekamen 32 Frauen Asyl, weil ihnen in ihren Heimatländern Geschlechtsverstümmelung drohte - 43 waren es in den zehn Jahren zuvor.
Aber Menschenrechtsorganisationen fordern weiterreichende Schritte, auch für Frauen, die schon in Deutschland leben:
- Beschneidung müsse als eigener Straftatbestand eingeführt werden, fordert Stolle.
- Bei Pflichtuntersuchungen müssen immer auch die Geschlechtsorgane der Kinder untersucht werden.
- Ein Aktionsplan zur besseren Vernetzung aller Beteiligten müsse her, wie in Norwegen und Großbritannien.
- "Organisationen, Migranten, Experten und Politiker müssen in Deutschland an einen Tisch", sagt Stolle. "Es muss ganz klar sein, welche Folgen in Deutschland lebenden Menschen drohen, die ihre Töchter zur Beschneidung nach Afrika schicken." Es sei richtig, wenn die Mädchen vor und nach der Reise in Deutschland untersucht würden. "Das soll kein Kampf Schwarz gegen Weiß sein oder eine Diskriminierung afrikanischer Migranten, sondern ein Signal für alle", sagte Malis Botschafterin Fatoumata Siré Diakite.
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sieht die afrikanischen Frauen in Europa als Brücke. Man müsse genau überlegen, welche Schlüsse man aus Erfahrungen in Afrika für die Arbeit in Deutschland ziehe. "Wir werden unsere nationalen und internationalen Anstrengungen im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung weiter verstärken und noch besser als bisher vernetzen", sagte die SPD-Politikerin.
In Arbeitsgruppen soll nun in Berlin weiter diskutiert werden. Die Somalierin Fadumo Korn hat eine Hoffnung: "Wir sind alle die Omis von morgen. Mein Ziel ist, dass wir bald sagen können: Wieso haben wir uns nur abgerackert? Plötzlich ging doch alles ganz schnell, und wir haben den Kampf gegen die Beschneidungen gewonnen!"
Labels: Afrika Genitalverstünneling
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