Experten fordern Regeln für den Smart-Drugs Menschenpark
Wie soll verantwortungsvoller Umgang mit den sogenannten "Cognitive Enhancern" aussehen?
Es überrascht, dass ausgerechnet das angesehene Wissenschaftsmagazin Nature der Diskussion um die sogenannten "cognitive Enhancer" so viel Raum gibt. Schon vor einem Jahr stellte man dort in die Frage Would you boost your brainpower?, eine nicht repräsentative Umfrage unter den Lesern wies auf eine gewisse Affinität der akademischen Elite zu Medikamenten hin, die das geistige Leistungspotential auf die eine oder andere Seite steigern sollen (siehe: Ritalin für Alle!).Nun hat man nachgelegt, dieses Mal hat sich eine illustre Autorenschaft versammelt, um eine Meinungsführerschaft auf dem Feld zu etablieren. Der Essay Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy versucht Rahmenbedingungen für den verantwortungsvollen Konsum von mental anregenden Pillen zu entwerfen. Aus meiner Sicht unterliegen die Autoren dabei einigen Fehleinschätzungen und Kurzschlüssen. Sind diese berichtigt, lässt sich fruchtbar über Medikamentenkonsum diskutieren. Allerdings bleibt dann nicht mehr viel vom Begriff der "cognitive Enhancer" übrig.
Der Nature-Beitrag beginnt mit den Worten: "Today, on university campuses around the world, students are striking deals to buy and sell prescription drugs such as Adderall and Ritalin." Das drückt die Problemstellung bildhaft aus, steht aber auf empirisch tönernen Füßen. Es existieren wenig Erhebungen darüber, wie weit der Konsum von Amphetaminen (Adderal) und Amphetamin-Derivaten (Ritalin) zu Lernzwecken verbreitet ist. Die Daten der Studie, auf die sich die Nature-Autoren berufen, stammen aus dem Jahr 2001 und beziehen sich nur auf us-amerikanische Studenten. Von diesen gaben 4,2% den Konsum während des letzten Jahres und nur 2,1% den Konsum während des letzten Monats an. Wichtig dabei: In die Studie wurden auch diejenigen miteinbezogen, die ein Stimulans vom Arzt verschrieben bekommen hatten. Zudem war unklar, ob die Studenten die Medikamente allein zum Lernen oder auch zur munteren Freizeitgestaltung genutzt hatten. Die Nature-Autoren sprechen offensiv von 7%, greifen damit aber auf die Lebensprävalenz zurück, also der Frage, ob jemand jemals in seinem Leben das Medikament eingenommen hat.
Auf Basis dieser Zahlen von einer weltweiten Verbreitung auf Universitätsgeländen zu sprechen ist, gelinde gesagt, übertrieben.
Vor ein paar Wochen rief ein Fernsehsender bei mir an – man war auf der Suche nach Studenten, die Medikamente zur Studium-Optimierung einnehmen und vermutete Kontaktmöglichkeiten über mich. Ich konnte nicht weiterhelfen. Dies zeigt neben meinem fortgeschrittenen Alter zweierlei: Die Story liegt in der Luft, ihr Gehalt ist möglicherweise gering. Selbst wenn zwischen 2 und acht Prozent der deutschen Großstadtstudenten zu Lernhochzeiten ein leistungsfördernden Mittel einnehmen sollten, muss dies in Zusammenhang mit ihren sonstigen Konsumgewohnheiten gesehen werden. An den deutschen Universitäten trinken zwischen 50 und 70 Prozent der Studenten regelmäßig Alkohol. Tabak dürfte neben Kaffee der beliebteste cognitive Enhancer sein, in Hamburg beispielsweise rauchen 70% der Studenten. Die beliebteste illegale Droge ist Cannabis, an manchen Universitäten rauchen um die 8% mehr als 40 Mal im Jahr Cannabis. Es fehlt an großen Studien über Medikamenten- und Drogengebrauch, Theo Baumgärtner hat in seinem Studie "Kiffen, Koksen und Klausuren" 1996 und 1997 den Drogenkonsum von Studenten in Leipzig, Dresden und Hamburg untersucht. In Dresden und Hamburg gaben damals rund 22% an, regelmäßig zu kiffen.
Die hier nur angedeuteten Konsummuster weisen darauf hin, dass die vermeintlich neuen Medikamente zur Leistungssteigerung eine untergeordnete Rolle in einer Gesellschaftsgruppe spielen, die, wie anderen Gruppen auch, multimedikamentös und substanzaffin agiert.
Nun kann es durchaus klug sein, eine Entwicklung, die erst im Entstehen ist, positiv beeinflussen zu wollen. Die Autoren des Nature-Essays wollen zu diesem Zweck gleich mehrere Medikamente mit dem Nimbus der "Cognitive Enhancer" versehen und daran anschließend Regeln aufstellen, um die Vorteile des Enhancement für die Gesellschaft herauszuschälen. Das erste Problem ist: Keine der Medikamenten- und Substanzgruppen (Amphetamin, Methylphenidat, Modafinil, Ampakin, Donepezil) konnte bislang ihre Tauglichkeit als cognitive Enhancer für gesunde Menschen nachweisen. Dies liegt zum einen an der schwammigen Definition des cognitive Enhancement. Die Wikipedia verweist nicht umsonst im ersten Satz auf den Begriff der "smart drugs". Die Diskussion um die "Schlaumacher" wurde Mitte der 90er Jahre mit dem Ergebnis beendet, dass die Einnahme von natürlichen oder chemischen Mitteln wenig bringt, um das Gehirn auf Trab zu bringen. Seither ist wenig passiert, es haben keine wirklichen Innovationen den Markt erreicht, die eine Wiederaufwärmung des Hypes rechtfertigen.
Zum anderen ist die mangelnde mentale Tauglichkeit der genannten Medikamente darin begründet, dass man sich erst langsam über die richtigen Messinstrumente einig wird. Denn mit "kognitiv" kann viel gemeint sein: Aufmerksamkeit, Lernen, Erinnerung, Kreativität. Klinische Tests zeigen bis heute oftmals, dass eine Verbesserung in dem einen Sektor häufig mit einer Verschlechterung in einem anderen Sektor kognitiver Fähigkeiten einher geht. Vereinfacht gesagt sind die meisten der als Cognitive Enhancer gehandelten Substanzen einfache Stimulanzien, die wach halten. Und wer länger durchhält,, der leistet (oftmals) auch mehr. Mit einer tatsächlichen Verbesserungen der Auffassungsgabe oder Intelligenz hat das wenig zu tun.
Dass nun plötzlich die ansonsten verteufelten Stimulanzien ("Speed kills") zu nebenwirkungsfreien Medikamenten werden sollen, die den anderen mentalen Ertüchtigungsmaßnahme gleichgestellt werden sollten, verwundert. Wie heißt es in dem Nature-Aufsatz: "In short, cognitive-enhancing drugs seem morally equivalent to other, more familiar, enhancements." Das ist natürlich Unsinn. Denn zum einen setzt die Behauptung der moralischen Gleichwertigkeit der Medikamente eine nebenwirkungs- und spätfolgenlosen Anwendung voraus, die nicht gegeben ist, zum anderen lässt sie die gesellschaftliche Wirklichkeit, in dem sich die Wirkung dieser Subtanzen entfalten, unberücksichtigt. Nahezu unbedacht bleibt durch die Autoren, dass auch oder gerade diese Medikamente bei falscher Anwendung zur Droge werden können. Es bringt wenig, diese oder andere Medikamente aus dem Scheinwerferlicht der Aufsichtsbehörden zu bewegen, indem sie gut gesprochen werden. Denn alle Erfahrung zeigt: Es ist weniger der Wirkstoff, als das Konsummuster, das darüber entscheidet, ob ein Mittel gut oder schlecht ist. Ein Schnaps, getrunken vor einer wichtigen Präsentation, ist durchaus ein cognitive Enhancer, regelmäßig und zu viel aus der Pulle getrunken führt er dagegen in den Alkoholismus.
Wenig Gedanken machen sich die Autoren auch darüber, in welchen öffentlichen Raum der Pillensegen regnen wird. Dabei sollte ihnen klar sein, dass man es mit einer potentiell süchtigen Gesellschaft zu tun hat, die jede Gelegenheit des bedenkenlosen Konsums wahr nimmt. Wem würde das Programm "Ritalin für alle" denn helfen? Wohl in erster Linie dem Hersteller des Medikaments. Wie im Telepolis-Forum zu dem Beitrag richtig angemerkt wurde, macht man sich wieder einmal Gedanken darüber, wie man den immer höheren Anforderungen durch Medikamenteneinnahme gewachsen sein kann, anstatt sich darum zu kümmern, wie eine "möglichst humane Gesellschaft aussehen kann, die Leistung und Ausbeutung nicht an erste Stelle setzt".
Insgesamt mutet der Versuch der Geburt einer Forschungs- und Regelungsinitiative für den Gebrauch von anregenden und aufputschenden Medikamenten blauäugig an. Von daher ist die Prognose: Sollten sich Verschreibung und damit Konsum der Mittel tatsächlich ausbreiten, würde es zu Missbrauch kommen. Dann gerieten auch diese Mittel in die Mühlen der Drogenpolitik, dem Bereich der Staatskunst, wo Doppelmoral und global-wirtschaftliche Interesse seit Jahrzehnten unheilvoll miteinander verwoben sind. Ein wissenschaftliches Aufklärungsprogramm, wie von den Nature-Experten gefordert, wird stark einschränkende Regulierungsmaßnahmen nicht vermeiden können. Was abseits des marktwirtschaftlichen Erfüllungsnutzen an Potential von den Wirkstoffen dann noch übrig bleibt, dies wird hieran noch weniger eine Rolle spielen als heute schon.
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