Afghanistan: Bomben auf die Hochzeit
Bundesregierung will nichts Genaues von den zivilen Opfern der US-Bombardements wissen und greift mitunter auch zur Desinformation
Sieben Jahre nach dem Beginn des "Krieges gegen den Terror"Die Bundesregierung und vor allem das von Steinmeier geführte Auswärtige Amt flüchten sich in Ausreden, wenn sie nach zivilen Opfern insbesondere der US-amerikanischen Bombardements gefragt werden. So auch nach dem jüngsten schweren Zwischenfall dieser Art am
Wieder einmal töteten US-Militärs den Aussagen afghanischer Augenzeugen zufolge 47 afghanische Zivilisten, die sich im Dorf Ka Chona., im Bezirk Deh Bala in der Provinz Nangarhar zu einer Hochzeit versammelt hatten. Unter den Opfern befanden sich nur drei Männer, alle übrigen waren Frauen und Kinder, darunter auch die Braut. Zahlreiche Medien hatten berichtet, stets war nur von diesen getöteten Zivilisten die Rede. Auch eine von der afghanischen Regierung eingesetzte Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, dass wieder einmal keine Taliban oder Aufständische bekämpft wurden, sondern harmlose Zivilisten. Der Bezirksgouverneur Hajji Amishal Gul wird mit den Worten
Die Nachrichtenlage war sozusagen eindeutig. Jedenfalls fast eindeutig – denn die US-amerikanischen Täter erzählten eine andere Geschichte, nämlich die vom erfolgreichen Angriff auf Taliban-Kämpfer. Folglich versuchte sich auch die Bundesregierung im Abwiegeln. Auf die Frage des Autors nach eigenen Erkenntnissen der Bundesregierung über die Bombardierung einer Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Jens Plötner, in der Bundespressekonferenz:
Ob es andere Operationen gegeben habe, werde geprüft. Der Sprecher verwies darauf hin, dass man alles daran setze, zivile Opfer zu vermeiden, und dass "die Taliban auf äußerst zynische Art und Weise die Praktik verfolgen, unbeteiligte Zivilisten als menschliche Schutzschilde für ihre Aktivitäten zu verwenden". Das seien Probleme für die Einsatzführung vor Ort.
Der Sprecher appellierte daraufhin an die Journalisten, vor dem Hintergrund, dass es in dieser Sache noch keinen abschließenden Untersuchungsbericht gebe, diesen Bericht abzuwarten. Schließlich, so fuhr Außenamtssprecher Plötner fort, habe es in früherer Zeit Fälle gegeben, in denen Anschuldigungen sehr schnell erhoben wurden "und leider gab es Fälle, in denen sie zutrafen, aber es gab auch Fälle, in denen sie nicht zutrafen und bei denen sich im Nachhinein herausstellte, dass an diesen Gerüchten nichts dran war".
Wenn das so ist, solle man annehmen, dass die Bundesregierung an lückenloser Information der Öffentlichkeit interessiert sei. Doch weit gefehlt. So wichtig ist ihr die mögliche Entlastung der in Afghanistan tätigen Verbündeten scheinbar doch wieder nicht. Gefragt, ob es denn eine solche Aufschlüsselung der Fälle auch für die Presse und Öffentlichkeit gebe, beantwortete der Sprecher ausweichend:
Wenn es zutrifft, dass es sich gar nicht um eine ISAF-Aktion handelte, kommen nur die US-Militärs, also die Täter als Auskunftspersonen in Frage. Warum sollten die sich selbst belasten? Auf schriftliche Nachfrage des Autors bei der Pressestelle des Auswärtigen Amtes, ob nach Kenntnis der Bundesregierung in Afghanistan seit der Besetzung des Landes durch US-Militärs und deren Verbündete, mehr Zivilisten durch "Aufständische oder Terroristen" oder durch US-Militärs und ISAF umgebracht wurden, erklärte ein Sprecher:
Afghanische Quellen offiziell ignoriert
Auffallend ist, dass afghanische Zeugen und Behördenvertreter offenbar für die Bundesregierung nichts gelten. Dabei werden die Angaben der in zahlreichen Presseberichten zitierten Augenzeugen auch durch den Bericht der offiziellen afghanischen Untersuchungskommission unter Leitung von Burhanullah Schiwari bestätigt. Es scheint so, als gelten für die Bundesregierung afghanische Zeugen und Behördenvertreter nur etwas, wenn sie Angaben machen, die ins Weltbild der US-Militärs, der ISAF oder der Bundeswehr passen. Statt dessen verweist der Außenamtssprecher auf die ISAF. Doch erfahrungsgemäß führen solche Anfragen bei der ISAF selten zur Aufklärung.
Außerdem hatte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Plötner, zuvor noch behauptet, seines Wissens habe es keine ISAF-Operation in dem Gebiet gegeben. Worüber also soll die ISAF Auskunft geben – etwa über einem Einsatz, mit dem sie nichts zu tun hatte? Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Dr. Thomas Raabe, mochte oder konnte ebenfalls nichts zur Aufklärung beitragen. Auch die Frage, ob Tornado-Flugzeuge an der Operation teilgenommen haben oder nicht, konnte er nicht beantworten, weil er "die Fakten nicht kenne." Und: "Bevor das nicht geklärt ist, verbietet es sich, zu spekulieren."
Dr. Raabe verwies auf die Aussage seines Kollegen vom Auswärtigen Amt, dem zufolge es ja eine Untersuchungskommission der ISAF gebe, "und deshalb gehen wir davon aus, dass diese Untersuchungskommission etwas hervorbringen wird. Dann wird es möglicherweise so sein, dass durch die ISAF-Strukturen auch wir davon erfahren werden, zu welchem Ergebnis man gekommen ist."
Nur – ob darüber auch die Journalisten und somit die Öffentlichkeit etwas erfahren, ist höchst zweifelhaft. Denn auf die Frage, ob das Bundesverteidigungsministerium die Journalisten über die Erkenntnisse der ISAF informieren werde, reagierte Dr. Raabe eher ausweichend und verwies darauf, dass
Was Dr. Raabe bewusst verschweigt – "Chief of Staff" bei ISAF ist der
Systematische Desinformation
Für Abour Zamani, den Vertreter des Afghanischen Kulturzentrums in Berlin, ist es nichts Neues, dass die internationale und auch die deutsche Öffentlichkeit systematisch falsch informiert wird. Bezogen auf die Hochzeitsgesellschaft, die am 6. Juli bombardiert wurde, sagt er: "Mit den Taliban hatten diese Menschen nichts zu tun."
Das
Die USA und ihre Verbündeten, aber auch die Regierung Karsai in Kabul, versuchten zu Beginn des Krieges, die Menschen zu beruhigen. Sie behaupteten, sehr gute Waffen zu haben, die präzise eingesetzt werden, so dass diese keine Toten unter der Zivilbevölkerung verursachen würden. Doch seit dem Einsatz von Tornados in Afghanistan gibt es drastisch mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung. In den meisten Fällen würden Angriffe gegen Zivilisten geleugnet. In den offiziellen Verlautbarungen von US-Armee und ISAF sei statt dessen von "Verlusten der Taliban" die Rede.
Noch mehr Soldaten nach Afghanistan
Die Zahl der ISAF-Soldaten in Afghanistan soll jetzt stark erhöht werden. Nach Ansicht des deutschen Generals Bruno Kasdorf im Hauptquartier in Kabul reichen die 40.000 ISAF-Soldaten "bei weitem nicht aus, um in einem Land, das mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland, Sicherheit herzustellen".
Der gleiche General wertete in einem Interview mit der FAZ im Januar 2008 die territoriale Ausweitung des Krieges in Afghanistan auch noch als Erfolg. Auf die Frage, ob die schöne Erfolgsbilanz nicht etwas getrübt werde durch die Tatsache, dass die Zahl von Anschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen so hoch war wie noch nie, antwortete General Kasdorf:
Das sehe ich nicht so. Wir haben mehr Vorfälle, ja, aber durchaus auch provoziert durch aktives Vorgehen der Isaf. Wir haben 2007 mit ungefähr 31.000 Soldaten angefangen. Jetzt sind wir bei rund 43.000. Das ist schon eine gewaltige Zunahme. Wir haben dadurch in Gebieten operieren können, wo wir vorher kaum präsent waren. Und: 70 Prozent der Vorfälle haben in zehn Prozent der Distrikte stattgefunden. Da relativiert sich eine solche Aussage.
Nun steht auch für die Bundeswehr eine Aufstockung bevor. Statt der bisher 3.500 sollen schon bald 4.500 Bundeswehrsoldaten an dem Krieg beteiligt werden, der sich faktisch überwiegend gegen die Bevölkerung Afghanistans zu richten scheint. Aus der Bevölkerung kommen zunehmend Klagen über die Aggressivität der Alliierten.
Uranmunition? – nie gehört
Zur regierungsamtlichen Desinformation gehört in Berlin auch die Duldung der von den US-Streitkräften weiterhin verwandten Uran (DU-Munition), über deren Verwendung die US-Armee offen informiert. So listet die US-Luftwaffe auf ihrer Webseite täglich die in Afghanistan zum Einsatz gekommenen Waffensysteme einschließlich der Munition auf. Darunter befinden sich regelmäßig Bomben des Typs GBU-31, die mit abgereichertem Uran ummantelt sind, sowie das Erdkampfflugzeug A-10 mit einer Revolver-Maschinenkanone. Deren 30 mm-Geschosse bestehen stets aus einem Mix von Explosiv - sowie panzerbrechender DU-Munition.
Während also die USA die Verwendung von Uranmunition im Irak und in Afghanistan gar nicht verheimlichen, zeigt sich die Bundesregierung auch gegenüber Bundestagsabgeordneten ahnungslos. Der Bundestagsabgeordnete Gert Winkelmeier fragte nach Art und Umfang des Einsatzes dieser Munition durch die US-Streitkräfte. Die Antwort lautete: "Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen Erkenntnisse vor."
Journalismus-Student in der Todeszelle
Bedauerliche Langmut zeigt die Bundesregierung auch angesichts der Tatsache, dass im nordafghanischen Mazar-i-Sharif am 22. Januar 2008 der 22jährige Journalistik-Student Sayed Perwiz Kambachsch zum Tode verurteilt wurde, weil er einen Artikel über die Rolle der Frau im Koran, den er aus dem Internet heruntergeladen, ausgedruckt und an seiner Universität
verteilt (
Die Macht der afghanischen Warlords).
Bisher ist nicht bekannt geworden, dass die Bundesregierung, bei der afghanischen Regierung gegen dieses Urteil protestiert hätte oder die Botschafterin des Landes zur Entgegennahme einer offiziellen Protestnote ins Auswärtige Amt einbestellt hätte. Nichts davon ist geschehen.
Es stellt sich auch die Frage, womit eigentlich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der frühere "Bürgerrechtler" Günter Nooke so seinen langen Tag herum bringt. Ab und an ist von einer netten Reise vorzugsweise ins benachbarte Ausland oder zu einem Vortrag des Dalai Lama in Nürnberg. Eine unnötige Reise, schaut doch Tenzin Gyatso, amtierender Dalai Lama, im Abstand von wenigen Monaten immer mal wieder gerne bei seiner Fangemeinde in Berlin vorbei. Aber eine Aktivität zu Gunsten etwa des mit der Todesstrafe bedrohten afghanischen Journalistik-Studenten bringt natürlich längst nicht so viel Aufmerksamkeit wie ein Grußwort beim Dalai Lama. Auch von Steinmeier, Außenminister und stellvertretender SPD-Vorsitzender, war während seiner jüngsten Afghanistan-Reise zu diesem Fall nichts zu vernehmen. Treffen mit Angehörigen der Opfer von US- oder ISAF-Attacken waren im Reiseplan des deutschen Außenministers ebenfalls nicht vorgesehen.(Quelle:Heise.de)
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