Mittwoch, Juli 30, 2008

Das lange Ende der Kassette..

..bzw. die Geschichte ihres Überlebens

Der alte "Kamerad Kassette" wurde kürzlich beerdigt, war gestern aus der New York Times zu [extern] erfahren.


Hintergrund des Nachrufes: eine Abschiedsparty im Verlagshaus [extern] Hachette, wo schwarz gekleidete Mitarbeiter der Hörbuchabteilung alte Mixtapes aus Schulzeiten mitbrachten und sich mit gesenkten Mundwinkeln vor dem Transparent mit der Aufschrift "BON VOYAGE Cassette" [extern] präsentierten. Der etwas theatralische Abschied fand schon Mitte Juni statt (und war vielleicht doch etwas voreilig). Anlass war die Ankündigung des Verlagshauses, mit "Sail" von James Patterson den letzten Hörbuchroman auf Kassette auszuliefern.
Mehr als vier Wochen später folgt dem Leichenschmaus in Manhattan also nun der Abgesang aus den [extern] Höhen Manhattans. Mit Fragen, die durchaus aus dem richtigen Leben gegriffen sind: "Was macht man mit den kistenweise gehorteten Kassetten?", "Wo kann man noch Kassettenrekorder kaufen?", "Gibt es analog zur Biografie der Vinyl-Platte möglicherweise eine Wiederauferstehung?"
Für die Verleger, so die Informationen der Zeitung, ist die Kassette kein Geschäft mehr. Musikkassetten finden kaum mehr Käufer: 400.000 wurden in den USA im letzten Jahr verkauft, das entspricht 0,1 Prozent aller Musik-Verkäufe auf analogen oder digitalen Trägermedien. 1997 lag der Verkauf noch bei 173 Millionen. Auch die Mehrheit amerikanischer Hörbuchverleger setze inzwischen auf CDs und andere Formate. In drei Jahren, so wird Brian Downing von Barnes & Noble zitiert, wird die Kassette verschwunden sein.
Allerdings erzählte man sich dies Ende der 1980er auch von der Vinyl-Schallplatte und ließ dabei einige Faktoren unberücksichtigt. Zum Beispiel, dass Vinyl nicht nur im Klang von zahlreichen Menschen gegenüber der CD bevorzugt wurde, sondern auch dass das Material, aus dem die Platten gefertigt wurden, wesentlich haltbarer war als CDs. Die Entwicklung der Elektronischen Musik in Clubs und Diskotheken führt dazu, dass Plattenspieler und Tonabnehmersysteme auch heute problemlos gekauft werden können.
Bei Kassetten und Kassettenrekordern liegen diese Vorteile so jedoch nicht vor. Im Gegensatz zu Vinyl altern die Aufnahmen durch Entmagnetisierung, Bandabrieb und ein Sprödewerden des Trägermaterials hörbar. Trotzdem gibt es laut New York Times u.a. bei Amazon auch heute noch Kassettenrekorder zu kaufen.
Auch in Deutschland wird die Geschichte der Kassette eher vom [extern] Ende her erzählt – mit der dazugehörigen Träne für das Tape, das für den Herzensmenschen gemischt wurde. Eine Kunstform, die nach dem Verbotswillen der Plattenindustrie in den 1980ern nie hätte entstehen dürfen: "Home taping is killing music and it's illegal", hieß es damals in den Werbe -und PR-Kampagnen.
All den Argumenten gegen das Tape zum Trotz gibt es aber noch Wunder und Zeichen, die vom langen Überleben der Kassette künden. Zum einen finden sie sich auch im bereits weiter oben verlinkten [extern] Nachruf der Hannoverschen Allgemeinen, wo auf den "riesigen Markt für bespielte Kassetten" in Südamerika, Asien und Afrika hingewiesen wird und "lokale Bands [, die] ihre Musik auf dem für uns veralteten Medium zum Kauf an[bieten]".
Zum anderen mag auch eine Nachricht aus den Tiefen Amerikas den Abschiedsgesang auf die Kassette mit ungeahnten Realitäten kontrapunktieren: In US-Gefängnissen sind Kassetten nämlich sehr beliebt, erfuhr man vor einigen Tagen von Wirtschaftsexperten der... New York Times - allerdings von den eher unorthodoxen Spürnasen der [extern] Freakonomics. Sie beziehen sich wiederum auf einen [extern] Reuters-Bericht, demzufolge die Firma Pack Central gute Geschäfte mit 50.000 Gefängnisinsassen macht, denen sie per Post Kassetten in die Zelle schickt. MP3-Player sind nach Angaben der Freakonomics in Gefängnissen nicht zu haben, ähnlich wie Plattenspieler. CDs sind verboten, weil sich daraus Messer brechen lassen.
Möglich also, dass die Kassetten einen bandsalatartigen langen Longtail haben, dass die alten Laufradächzen länger überleben, als man dies vom Hochhaus aus gesehen glaubt. (Quelle:Heise.de)

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