Dienstag, Mai 06, 2008

„Car to Car“-Kommunikation - Das Auto im unsichtbaren Netz der Sicherheit

Frühestens 2015 werden erste Serienfahrzeuge mit der „Car to Car“-Kommunikation ausgerüstet sein, die vor allem mehr Sicherheit im Straßenverkehr bringen soll. Rund ein Drittel aller Unfälle gehen auf mangelnde Aufmerksamkeit zurück. Die bewährten passiven Sicherheitssysteme, die wie Airbag oder Gurtstraffer erst dann reagieren, wenn es zu spät ist, sollen durch aktive Systeme ergänzt werden. Sie helfen dem Fahrer beim Einschätzen der Verkehrssituation und verschaffen ihm eine zusätzliche Zeitreserve, damit er rechtzeitig reagieren kann. Ein Szenario: Das Auto erfährt schon 300 Meter vor der Kurve, dass es hier spiegelglatt ist. Der Fahrer wird gewarnt, er kann frühzeitig das Tempo verringern. Die Idee besticht durch ihre Einfachheit.
Der erste Trick: Jedes neue Fahrzeug weiß ohnehin über seine elektronischen Sensoren viel mehr über die Umgebung und die Straße, als der Fahrer ahnt. ABS, ASR, ESP heißen die bekanntesten Helfer, aber auch das Außenthermometer sowie die Sensoren für Warnblinker, Licht, Regen und Lenkwinkel sind unermüdliche Datensammler. Ihre Informationen liegen am CAN-Bus des Fahrzeugs an. Und nun der zweite Trick: Das Auto der Zukunft soll diese Daten mit seiner Umgebung austauschen. Also kein hierarchischer Datentransport von unten nach oben zu einer Sammelstelle oder Verkehrszentrale, sondern ein selbstorganisiertes, autonomes Netzwerk, das gleich einer Internet-Tauschbörse arbeitet, wo die Nutzer untereinander direkt und ohne Umwege Daten tauschen. Dazu wird das Fahrzeug mit einer Wireless-Lan-Einheit ausgerüstet, wie man sie in modernen PCs vorfindet. Das Auto ist gleichzeitig Sender und Empfänger, und wichtige Gefahrenmeldungen werden wie ein Staffelstab von einem Fahrzeug zum nächsten weitergereicht.

Die Technik funktioniert

Die Idee der „Car to Car“-Kommunikation wird von einem Konsortium getragen, in dem sämtliche bedeutenden Fahrzeughersteller und Zulieferer aus aller Welt versammelt sind (www.car-to-car.org). Einer der wissenschaftlichen Entwickler ist die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlands, und wir haben uns den Stand der Dinge beim Fahrzeugtechniker Professor Wolfram Seibert und dem Telekommunikationsexperten Professor Horst Wieker angesehen. Wir fahren auf dem Parkplatz des Institutsgeländes im Kreis. Vor uns ein Ford Focus, dessen Fahrer in der scharfen Kurve ein kurzzeitiges Ansprechen der Antriebsschlupfregelung provoziert. Und wir im nachfolgenden Auto sehen auf einem Laptop die Position des Vorausfahrenden sowie die Warnmeldung.
Noch ist das alles sehr provisorisch in den Testwagen verbaut, aber die Technik funktioniert. Seibert und Wieker forschen im Rahmen des „Willwarn“-Projekts (Wireless Local Danger Warning), das eine besonders kostengünstige Lösung anbieten will. Im Fahrzeug der Zukunft sind zusätzlich nur die W-Lan-Einheit sowie ein GPS-Empfänger untergebracht. Letzterer ist vielleicht ohnehin für die Straßennavigation vorhanden, „Willwarn“ benötigt indes allein die nackte Positionsangabe, aber keine elektronische Landkarte auf DVD. Weniger als 300 Euro soll das Ganze kosten, und 2015 müssen so viele Fahrzeuge wie möglich mit der Technik ausgerüstet sein, damit sie funktioniert. Durchaus denkbar, dass ein W-Lan-Modul schon bald zur Serienausstattung gehört. Spürbaren Nutzen bringt die „Car to Car“-Kommunikation nach wissenschaftlichen Studien, wenn etwa ein Drittel der Fahrzeuge damit ausgestattet sind, erstrebenswert ist jedoch eine höhere Marktdurchdringung.

Das System gegen Hacker und Vandalen sichern

Die streichholzschachtelgroßen Sende- und Empfangsmodule aus der Computertechnik sind für den Einsatz im Auto modifiziert. Sie senden im Bereich von 5,9 Gigahertz, und unlängst wurde ein erstes Frequenzband für Sicherheit und Verkehrslenkung von der EU zugeteilt. Wie am Computer verbinden sich die W-Lans im Ad-hoc-Modus, allerdings ist der komplizierte beiderseitige „Handshake“ drastisch vereinfacht. Es gibt feste Kanäle, und eine der großen Herausforderungen liegt derzeit darin, das System gegen Hacker und Vandalen zu sichern. Störsender könnten den Frequenzbereich blockieren, auch sind gefälschte Nachrichten denkbar. Jede Sendeeinheit erhält einen einzigartigen Schlüssel, der aber keine Verbindung zur Fahrgestellnummer haben wird. Gesendet wird mit 0,1 Watt, das reicht für etwa 300 bis 500 Meter. Die einzelnen Datenpakete, die zwei Fahrzeuge miteinander austauschen, sind nur wenige Kilobyte klein. Und das Ganze funktioniert nach ersten Versuchen bei Geschwindigkeiten bis 400 km/h.
edes Funktelegramm hat mehrere Parameter gespeichert: die mit Satellitenortung gewonnene Fahrzeugposition nebst Geschwindigkeitsvektor, einen Zeitstempel, die Koordinaten der relevanten Gefahrenzone, eine Gültigkeitsdauer und einen Code für das jeweilige Ereignis. Die Größe der Gefahrenzone ist gekoppelt an das Ereignis: Eine Vollbremsung interessiert beispielsweise nur die folgenden Verkehrsteilnehmer, nicht aber die vorausfahrenden.

„Virtuelles Blaulicht“ von Polizei und Rettungskräften

Beim Staffellauf der Nachrichten kommt ferner pfiffige Software zum Einsatz. Sie hat mehrere Aufgaben. Zunächst die Auswertung der Fahrzeug-Sensorik. Wenn der Fahrer abrupt bremst, die Nebelscheinwerfer und Scheibenwischer einschaltet und der Regensensor anschlägt, ist das ein Indiz für eine unvermittelt auftauchende Nebelwand. Und wenn fünf andere Fahrzeuge an genau dieser Stelle ebenfalls ihr Tempo drosseln und die Nebelscheinwerfer einschalten, ist die Wahrscheinlichkeit noch höher. „Willwarn“ wird also eine Gefahrenmeldung absetzen, die nun von einem Fahrzeug zum nächsten springt. Am Rande der Großstadt vielleicht nur im Umkreis von 2 Kilometer. Auf dem flachen Land gegebenenfalls noch weiter. Die Signalverbreitung ist ja nicht von der Reichweite des einzelnen W-Lan-Senders abhängig, sondern von der sie bildenden Kette, und zu der können auch Fahrzeuge im Gegenverkehr gehören. Zudem lässt sich per Software einstellen, dass eine Meldung so lange weitergetragen wird, bis sie eine bestimmte Zahl von Fahrzeugen erreicht hat. So ist also auch am Sonntagmorgen um 5 Uhr in der Frühe sichergestellt, dass andere Verkehrsteilnehmer informiert werden.
Ferner wird es vor allem zu Beginn des „Car to Car“-Projekts kleine Mini-Sender am Straßenrand geben, sogenannte „Roadside Units“. Sie bilden verstärkende Knotenpunkte im Wireless-Lan-Netz und kommen an jenen Orten zum Einsatz, die für Stau oder gefährliche Situationen bekannt sind. So will man dafür sorgen, dass die Technik auch dann funktioniert, wenn noch nicht alle Fahrzeuge mit W-Lan ausgestattet sind. Weitere Komponenten in der Stadt könnten Ampelanlagen mit Funkmodul sein, auch sind Ideen für ein „virtuelles Blaulicht“ von Polizei und Rettungskräften in der Diskussion.

Jedes Auto weiß schon jetzt viel mehr als sein Fahrer

Einfache Gefahrenhinweise sind schnell programmiert. Vertrackter wird die Angelegenheit, wenn „Willwarn“ vor vereister Strecke warnen soll. Wann ist der Kraftschluss zwischen Fahrbahn und Fahrzeug unzureichend? Der geübte Autofahrer macht eine Probebremsung oder stellt beim abrupten Gasgeben fest, dass etwas nicht stimmt. Es müssen also erst ein Auto und sein Fahrer eine gefährliche Lage „erkannt“ haben, bevor andere alarmiert werden können. Bei einigen Serienfahrzeugen liegen so detaillierte Informationen der Elektronik am CAN-Bus an, dass brenzlige Situationen ohne spürbaren Eingriff von ABS oder ESP erfasst werden. Wie gesagt: Jedes Auto weiß schon jetzt viel mehr als sein Fahrer.
Ferner entwickeln die Ingenieure aus Saarbrücken neue Algorithmen, um ungewöhnliche Manöver zu erkennen: dass etwa der Fahrer plötzlich durch heftigen Lenkwinkeleinschlag einem Hindernis ausweicht. Denkbar ist auch eine Software, die schon vor der Kurve warnt, dass man mit dem aktuellen Tempo und der verringerten Bodenhaftung auf feuchtem Asphalt mit Sicherheit ausbrechen wird. Denn den Grenzen der Fahrphysik ist selbst der beste Autofahrer unterworfen.

Am Straßenrand ein „elektronisches Knöllchen“

„Willwarn“ erweitert also quasi den Sehbereich des Autofahrers. Er wird deutlich früher auf Probleme hingewiesen, und er sieht das, was die Elektronik anderer Fahrzeuge entdeckt hat. Wie die beteiligten Fahrzeughersteller mit diesen Informationen umgehen, ist ihre Sache. Bei der „Car to Car“-Kommunikation geht es nicht um das Bedien- oder Meldesystem im Fahrzeug. Einig sind sich alle Beteiligten nur darin, dass der Autofahrer nicht entmündigt werden und Herr der Lage bleiben soll. Was jedoch die einzelnen Hersteller planen, ist noch offen. In einem Sportwagen könnten sich Hinweise auf äußerst kritische Streckenabschnitte beschränken, in einer braven Familienlimousine würden vielleicht öfter Meldungen auf dem Bildschirm oder im Head-up-Display erscheinen, weil der Fahrzeughersteller davon ausgeht, dass seine Klientel hohen Wert auf Sicherheit legt. Vielleicht müsste man die Warnungen sogar einzeln bestätigen. Denkbar ist auch eine haptische Gefahrenmeldung durch ein Signal im Gaspedal.
Schon befürchten allerdings Skeptiker, dass die „Car to Car“-Kommunikation in den Händen regulierungswütiger EU-Politiker ein Instrument der Gängelung und Bevormundung werden könnte: der entmündigte Autofahrer im Korsett von Warnmeldungen. Dass auch die Überwachung von Fahrzeugen und die Erstellung von Bewegungsprofilen mit dieser Technik einfach wie nie ist und mit Hilfe von zwei Funkbaken am Straßenrand ein „elektronisches Knöllchen“ erstellt werden kann, sei ebenfalls angemerkt. Zwar liefe eine solche Entwicklung allen Intentionen des Konsortiums diametral entgegen. Dass man sich aber auf politische Willensbekundungen nicht mehr verlassen kann, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Diskussion über die Verkehrsüberwachung mit Hilfe der Mautbrücken. Das Mautgesetz, das eine strikte Zweckbindung der Daten allein für Abrechnungszwecke vorgibt, soll demnächst wieder aufgehoben werden.(Quelle:FAZ.de)

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