Die "Heimattreue Deutsche Jugend" erregt seit Jahren die Aufmerksamkeit von Polizei und Verfassungsschutz. Doch ein Verbot der rechtsextremistischen Organisation lässt auf sich warten.
Am 8. Mai erklärte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Bekämpfung des Rechtsextremismus "in all seinen Ausprägungen" einmal mehr zum "zentralen Anliegen". Um die offensive Herausforderung des demokratischen Gemeinwesens entschlossen zurückweisen zu können, sei zivilgesellschaftliches Engagement, aber "auch staatliches Handeln" gefragt, ließ Schäuble wissen und verbot gleich drei Vereine, welche nicht nur gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik, sondern durch die fortgesetzte Leugnung des Holocaust obendrein gegen geltendes Recht verstoßen hatten.
Für das lange Zeit als gemeinnützig anerkannte
Collegium Humanum und seine Unterorganisation "Bauernhilfe e.V." kam der Beschluss aus Berlin ebenso wenig überraschend wie für den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten", der sogenannte "Reichsbürger" zum "allgemeinen Volksaufstand zur Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des deutschen Reiches durch einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge" versammeln wollte. Die Gruppierungen standen seit Jahren – und im Fall des "Collegium Humanum" – sogar seit Jahrzehnten unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, der ihre staatsfeindlichen, rassistischen und antidemokratischen Bestrebungen in vielen Einzelheiten
dokumentieren konnte.
Den verbotenen Vereinen ist nun jede weitere Betätigung, aber auch die Bildung von Ersatzorganisationen untersagt. Dieser Entschluss stieß parteiübergreifend auf Zustimmung, auch wenn er manchen Beobachtern nicht weit genug ging. So versuchte Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Innenausschusses im Deutschen Bundestag,
bereits mehrfach darauf hinzuwirken, auch die "Heimattreue Deutsche Jugend" zu verbieten und das Strafrecht entsprechend zu
verschärfen.
Rassenschulung im Freizeitcamp
Nur zwei Wochen nach dem Verbot der anderen rechtsgerichteten Organisationen sorgte die "Heimattreue Deutsche Jugend" bereits wieder für Schlagzeilen. Am 22. Mai wurden Wohnungen in Berlin, Greifswald und Vechta durchsucht, um Unterlagen und Speichermedien sicherzustellen. Im Visier der Ermittler standen ein 26-Jähriger aus Niedersachsen und ein 24-jähriger Berliner, die im Januar eine "Rassenschulung" in einem Feriencamp durchgeführt und dabei auch den Propagandafilm "Der ewige Jude" gezeigt haben sollen. Nach Erkenntnissen der Ermittler gab sich einer der Tatverdächtigen bei der Gelegenheit als "Führer der Leitstelle Nord der HDJ" aus.
Der jüngste Vorfall ist Teil einer langen Kette und gehört zur Strategie des Vereins, der sich mit der erklärten Absicht einer politischen Radikalisierung 1990 vom "Bund Heimattreuer Jugend – Der Freibund" abspaltete. Ziel des "HDJ", der unter dem Deckmantel eines Volk- und Heimatvereins auftritt und den Zusatz "Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V." führt, ist offenkundig die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut und eine Art paramilitärischer Frühausbildung, die in scheinbar harmlosen Freizeitveranstaltungen durchgeführt wird. Die "aktive volks- und heimattreue Jugendbewegung für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 25 Jahren"
propagiert ein revisionistisches Geschichtsbild und will ausgehend vom Stammsitz in der "Reichshauptstadt Berlin" dazu beitragen, die ehemaligen Ostgebiete zurückzugewinnen.
Vor zwei Jahren
beschäftigte ein Zeltlager in Horn-Bad Meinberg/Fronhausen, in dessen Verlauf Zelte als "Führerbunker" deklariert wurden und Journalisten offenbar nicht gern gesehen waren, bereits den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Wenig später attackierten Neonazis im brandenburgischen Blankenfelde die Journalistin
Andrea Röpke und einen Fotografen, als sie über eine Veranstaltung der "Heimattreuen Deutschen Jugend" berichten wollten. Röpke
beschäftigte sich bereits seit geraumer Zeit mit den verfassungsfeindlichen Aktivitäten des Vereins und konnte dabei sowohl inhaltliche als auch personelle Verbindungen zur 1994 verbotenen Wiking Jugend aufzeigen, die sich ihrerseits in der Tradition der "Hitler-Jugend" sah.
Mittlerweile hatten Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutzabteilungen reichlich Material über die rechtsextreme Organisation
angesammelt, und tatsächlich reagierte das zuständige Bundesinnenministerium. Im Oktober 2007 wurde der "HDJ" das Tragen der paramilitärischen Uniformen - auf Basis des generellen Uniformverbots nach dem Versammlungsgesetz - untersagt. Doch eine Kontrolle fand offensichtlich nicht statt, wie Andrea Röpke vier Monate später
feststellte. Der "HDJ-Bundesführer" Sebastian Räbiger zeigte sich von der Anordnung aus dem Hause Schäuble nur "mäßig beeindruckt" und forderte die Mitglieder auf, ganz einfach zu ignorieren, "dass man uns in die stillose BRDisten-Uniform zwingen will. Wir entscheiden immer noch selbst, welche Kleidungsstücke wir tragen."
Braunes Führungspersonal
Beobachter der Szene haben keinen Zweifel daran, dass ein Verbot der "Heimattreuen Deutschen Jugend" schon deshalb gerechtfertigt wäre, weil es sich im wesentlichen um eine Nachfolgeorganisation der neonazistischen "Wiking Jugend" handelt, der eine Neubildung seinerzeit explizit untersagt wurde. Schon in der ersten Ausgabe der vereinseigenen Zeitschrift "Funkenflug"
bekannte sich die "HDJ" unmissverständlich zur Odalrune, dem Symbol ihrer Vorgänger.
Doch damit nicht genug: Der Bundesführer Sebastian Räbiger fungierte einst als letzter "Gauführer" der "Wiking Jugend" in Sachsen. Manfred Börm, der 1979 an einem bewaffneten Überfall auf einen NATO-Stützpunkt in Bergen-Hohne beteiligt war und anschließend zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, gehörte als "Gauführer Niedersachsen/Bremen" ebenfalls zu den prominenten Mitgliedern der "Wiking Jugend", bevor er sich in der "HDJ" um die Nachwuchsarbeit kümmern durfte. Außerdem ist Börm Mitglied im Parteivorstand der NPD und hier für das
Referat Ordnungsdienst zuständig.
Auch Wolfram Nahrath, früher "Bundesführer" der "Wiking Jugend", hat in der "Heimattreuen Deutschen Jugend" offenbar ein
neues Zuhause gefunden. Nahrath ist allerdings auch Mitglied und ideologischer Vordenker der NPD und wird vom Parteiorgan "Deutsche Stimme" entsprechend in Szene gesetzt.
Der Vormittag des letzten Tages wurde mit einem Vortrag des früheren Bundesführers der Wiking-Jugend, Wolfram Nahrath, eingeläutet. Der über viele Jahre in der politisch-weltanschaulich wie auch geistig-sittlich prägenden Jugendarbeit stehende Referent sprach über den "Mythos vom Reich". Er machte deutlich, daß der Reichsgedanke die geistige Identität eines Volkes widerspiegele und nicht zuletzt deshalb in Form einer beispiellosen Massenpsychose versucht werde, die im Reichsgedanken liegende Kraft und den Mythos nach 1945 zu ersticken. Der These Helmut Kohls, daß die BRD der vermeintlich freiheitlichste Staat auf deutschem Boden in der deutschen Geschichte sei, hielt Nahrath entgegen, daß erst das Reich die Verkörperung tatsächlicher Freiheit sei.
Die Deutsche Stimme
Auch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat die "HDJ" einen bekannten Fürsprecher. Tino Müller, gelernter Maurer und spiritus rector der "National-Germanischen Bruderschaft", gilt als Verbindungsfigur zwischen NPD und Freier Kameradschaftsszene. Als Initiator der Bürgerinitiative "Schöner und sicherer wohnen in Ueckermünde" sammelte er vor einigen Jahren 2.000 Unterschriften gegen ein geplantes Asylbewerberheim, seine politischen Ansichten gibt er bei der HDJ gern an Kinder und Jugendliche weiter.
Auf dem "Märkischen Kulturtag", den die "HDJ" jährlich mit der "Gemeinschaft Deutscher Frauen" und der "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen" veranstaltete, trafen sich weitere Mitglieder der braunen Führungsriege. Neben dem Rechtsanwalt Jürgen Rieger oder dem Aktivisten Ralph Tegethoff wurde hier der mehrfach vorbestrafte Österreicher Herbert Schweiger gesichtet, der 1941 - im zarten Alter von 17 Jahren - freiwillig und aus "innerer Überzeugung" der Waffen-SS beitrat. Udo Pastörs, NPD-Chef im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, schaute ebenfalls gerne vorbei, denn die "Heimattreue Deutsche Jugend" arbeitet ganz nach dem Geschmack des smarten Rechtsaußen: "Die machen sehr gute Jugendarbeit, kann ich Eltern nur empfehlen", erklärte Pastörs einem Fernsehteam.
Fragen und Antworten
Schon im Sommer vergangenen Jahres richteten die Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck und Ute Koczy von Bündnis 90/Die Grünen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Sie wollten mehr über die "Heimattreue Deutsche Jugend" und den Kenntnisstand der Bundesregierung erfahren, hatten mit ihrem Ansinnen aber nur bedingt Erfolg. Auf die Fragen "Welche finanziellen Mittel stehen dem eingetragenen Verein nach Kenntnis der Bundesregierung zur Verfügung?" und "Welche Bemühungen der HDJ, auch Kinder und Jugendliche aus nicht rechtsextrem geprägten Familien anzusprechen, sind der Bundesregierung bekannt?" konnte die Bundesregierung keine Auskunft geben, weil ihr angeblich "keine Erkenntnisse" vorlagen. Auch über die Mitgliederstärke schien man nicht genau unterrichtet zu sein. Auf "mindestens 100 Personen" schätzte die Regierung die Größe der "HDJ", während die Vorabfassung des Verfassungsschutzberichtes 2007 von "mehreren hundert Mitgliedern" ausging. (Tatsächlich nahmen allein am - jährlich veranstalteten - "Pfingstlager", das vom 25. bis 28. Mai 2007 im niedersächsischen Eschede stattfand, rund 350 Personen teil.) Besser informiert präsentierte sich die Staatsführung, als es um das Verhältnis zur früheren Wiking Jugend ging.
Im Vergleich mit der im Jahre 1994 verbotenen "Wiking Jugend e. V." (WJ) zeigen sich hinsichtlich der bekannt gewordenen Aktivitäten und der Zielgruppe Parallelen.
Antwort der Bundesregierung
Auch die weit verzweigten Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Organisationen haben sich bis zur Regierungsbank herumgesprochen.
Die HDJ ist in die rechtsextremistische Szene fest eingebunden und verfügt über entsprechende szeneübergreifende Verbindungen zu Kameradschaften, Parteien und anderen Vereinen.
Antwort der Bundesregierung
Auf die Frage nach rechtlichen Konsequenzen, wie sie möglicherweise den fünf Aktivisten des "Bundes freier Jugend" bevorstehen, die sich im benachbarten Österreich seit Mitte Mai vor Gericht verantworten müssen, bekamen die Bündnisgrünen allerdings nur allgemeine Auskünfte.
Um rechtsextremistische Phänomene wirkungsvoll zu bekämpfen, müssen neben zivilgesellschaftlichem Engagement auch alle zur Verfügung stehenden repressiven Mittel eingesetzt werden. Dazu gehören eine konsequente Strafverfolgung aber auch exekutive Maßnahmen, wie Vereinsverbote. Mit einer Erörterung von Verbotsverfahren in der Öffentlichkeit ist jedoch die Gefahr verbunden, deren Erfolg zu schmälern. Deshalb nimmt die Bundesregierung aus operativen Gründen grundsätzlich zu Fragen im Zusammenhang mit Verbotsverfahren nicht öffentlich Stellung.
Antwort der Bundesregierung.
Der Linkspartei erging es Anfang dieses Jahres nicht besser. Auf die Frage nach der offensichtlichen Nicht-Beachtung des 2007 verhängten Uniform-Verbots durch die "HDJ" gab die Bundesregierung zu Protokoll:
Für die Durchsetzung des Uniformverbots sind die jeweiligen Landesbehörden zuständig. Zu Sachverhalten, die in die Zuständigkeit der Länder fallen, nimmt die Bundesregierung nicht Stellung.
Antwort der Bundesregierung
Auch in Berlin und Brandenburg, wo die "HDJ" besonders aktiv ist, sieht man offenbar keinen Grund zur besonderen Eile. Immerhin reagierte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) schon einmal prophylaktisch auf das aktuelle Medieninteresse.
Wir haben also auch durch die Berichterstattung im Fernsehen erfahren, dass es bundesweit stärkere Aktivitäten als bisher gibt, und ich glaube, bei solchen Vereinen sollte man in der Tat prüfen, ob man sie weiter agieren lassen kann, oder ob man von den Möglichkeiten des Vereinsrechts Gebrauch macht, sprich, auch von den Möglichkeiten, sie zu verbieten.
Ehrhart Körting
Die Polizeiprotokolle, Verfassungsschutzberichte und Selbstdarstellungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass es der Fernsehberichterstattung kaum bedurft hätte, um die Verfassungsfeindlichkeit der "Heimattreuen Deutschen Jugend" unter Beweis zu stellen. Trotzdem bleiben Konsequenzen aus, und offenkundige Gesetzesverstöße werden nur bedingt geahndet. Die Volks- und Heimattreuen dürfen sich also von staatlicher Seite bis auf weiteres geradewegs ermutigt fühlen, ihre "Kinder- und Jugendarbeit" fortzusetzen.(Quelle:Heise.de)
Labels: Schonfrist für den Nazi-Nachwuchs
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