Montag, Juni 02, 2008

Psychogramm der Verrohung


Trifft wie eine Faust: Errol Morris Horror-Dokumentation "Standard Operation Procedure"


2004 schockierten die Bilder die Welt: Ein nackter Häftling, der von einer Frau in US-Militäruniform an der Leine geführt wird wie ein Hund, ein Mann, dem eine Kapuze über den Kopf gezogen wurde, mit verkabelten Armen, eine Pyramide nackter Leiber - Auschnitte aus der tagtäglichen Realität im US-Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad (vgl. [local] Sadistische KZ-Spiele). US-Soldaten misshandelten Gefangene und fotografierten sich dabei. US-Dokumentarfilmer [extern] Errol Morris hat sie und ihre Hintergründe in seinen Film "Standard Operation Procedure" dargestellt. Er hat es geschafft, die Täter zum Sprechen zu bringen. Ein zum Teil unerträglicher Film, der einen wie eine Faust trifft, mit Genauigkeit, Insistieren. Der Film zeigt den Normalfall der US-Politik.


Wer schöne Bilder macht, der lügt - das ist die Moral, mit der auch Errol Morris' Film bei seiner Premiere auf der Berlinale im Februar aufgenommen und zum Teil kritisiert wurde. Zugleich wissen wir: Hässliche, "realistische Bilder" geben erst recht Anlass zur Vorsicht. Denn hinter dem rohen Antlitz könnte nur der Versuch stehen, eine Rohheit vorzutäuschen. Sie könnten nicht weniger ein Versuch einer - nur eben anderen - Überwältigungsstrategie sein. Würden die exakt gleichen Bilder unter dem Vorzeichen Spielfilm stehen, würde man sie anders anschauen, ihnen paradoxerweise mehr Wahrheitsgehalt zugestehen, sie zumindest weniger unter dem Perspektive möglicher Verlogenheit und Täuschung oder Manipulation ansehen. Das ist das Dilemma, dem nicht nur "SOP - Standard Operating Procedure" unterliegt.
Es gibt zwei Möglichkeiten, über diesen Film zu schreiben. Man kann sich auf die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten der Darstellung von Tatsachen - von "Wahrheit"? - im Dokumentarfilm konzentrieren. Hierfür bietet Errol Morris' Film reichlich Anschauungsmaterial. Oder man kann darüber schreiben, was er zeigt, und ob er das so zeigen darf. Darum geht es hier.

Die Schande des Westens

Es steht dem Kino des Westens gut an, sich endlich auch seinem eigenen aktuellen Kriegen zu widmen. Die Schreckenstarre nach den 9/11-Attentaten hat sich schon seit einiger Zeit gelöst, und nach Spielfilmen kommen nun auch Dokumentationen zum Thema ins Kino. Sie treffen moralisch ins Herz unserer eigenen Gegenwart: Sie nehmen grundsätzlich die Perspektive eines westlichen Publikums ein, gehen von unseren Erfahrungen aus, und sind gerade deshalb deprimierend, weil sie keinen Ausweg gestatten, sondern die Schande offen legen, mit denen die westlichen Gesellschaften derzeit ihre eigenen Prinzipien - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Menschrechte, Anti-Rassismus - mit Füssen treten.
Die größte Aufmerksamkeit unter professionellen Beobachtern wie Publikum gilt einstweilen "SOP - Standard Operating Procedure", Errol Morris' mit Spannung erwarteter Dokumentation über Folter und andere Untaten der Amerikaner im seinerzeitigen US-Geheimgefängnis von Abu Ghraib. Die Konzentration war doppelt verdient. Zum einen weil das Thema ins Herz des derzeitigen Zustandes der amerikanischen Demokratie und Medienöffentlichkeit stößt, an das fortdauernde Unrecht in anderen Geheimgefängnissen und unser aller Schweigen zu Guantanamo erinnert. Zum anderen auch, weil Morris spätestens mit Filmen wie "The Fog of War" (2003) und "Mr. Death: The Rise and Fall of Fred A. Leuchter, Jr." (1999) zum wichtigsten Dokumentaristen der Defizite des "amerikanischen Traums" wurde: Weit genauer recherchierend und weitaus ruhiger, unhysterischer in der Herangehensweise als Michael Moore sind Morris' Filme ungleich nachhaltiger als Moores, und grundsätzlicher, tiefer gehend und zeitloser in ihrer Kritik.

Nicht alles ist bekannt

Dies ist die Kehrseite von "The Fog of War". Der Film handelte von einem Mann an der Spitze der Pyramide, dem Zweiten in der militärischen Kommandokette nach dem Präsidenten. Dies hier sind die Leute am Boden der Pyramide. Niedrige Ränge. Und sehr jung.
Errol Morris

Auch diesmal stützt sich Morris auf seine bewährte Methode einer Kombination von Interviews, dokumentarischen Aufnahmen und neu hergestellten Bildern, die zum Teil mit Hilfe von Animationstechnik, zum Teil durch "Re-Enactment" nachgestellt wurden. Die Interviews bilden den Schwerpunkt des Films. Es sind oft haarsträubende Dokumente. In erstaunlicher Freimütigkeit, und selten mit sichtbaren Gewissensbissen, eher achselzuckender Gleichgültigkeit und mit allenfalls dünnen Entschuldigungen garniert, breiten die - inzwischen zumeist verurteilten - US-Folterknechte und Ex-Wärter des irakischen Geheimgefängnisses die Erinnerungen an ihre Zeit, an die Häftlinge und an deren Behandlung aus. Diese Behandlung war durchweg entwürdigend, Folter verschiedenster Form war die Regel, hinzu kamen "scharfe Verhöre", in Einzelfällen starben Häftlinge durch diese Behandlung oder fehlende medizinische Versorgung - was durch die Täter zumindest in Kauf genommen und nachträglich vertuscht wurde.
Eine zweite Ebene gilt der detaillierten Rekonstruktion des Geschehens. Es wäre nämlich ein großer Irrtum, zu glauben, alle Vorgänge von Abu Ghraib seien "längst bekannt", oder das noch nicht Bekannte sei "unwesentlich". "Die uns bekannten Bilder funktionierten in beide Richtungen", so Morris im Gespräch, "natürlich enthüllen sie die Untaten. Aber zugleich sind sie auch eine Tarnung". Denn sie verführen Journalisten und Ermittler zu der Annahme, man hätte alles gesehen, es gäbe keinen Bedarf, weiter zu suchen. Und zu der Annahme, die Schuldigen seien bekannt. Das ist irreführend. Ein falsches Bild. Morris und sein Team haben zwei Jahre lang den genauen Kontext dieser Photographien untersucht. Warum wurden sie überhaupt gemacht? Und was ereignete sich jenseits des Bildrahmens, im Bereich des Ungesehenen? Wer waren diejenigen, die die Bilder gemacht haben? Was dachten sie sich dabei? Klar ist: Es gibt weit mehr Beteiligte, und früher oder später werden viele von ihnen ebenfalls angeklagt werden.

Sadismus und Voyeurismus aus dem Herz unserer Kultur

Morris wendet viel Film-Zeit für die vergleichende Analyse der Täterfotos aus, für den Vergleich von Kameras und Perspektiven. Mit kriminalistischer Energie entsteht so ein dreidimensionales Bild bestimmter Schlüsselsituationen. Im Gespräch erklärte Morris dazu schlüssig, warum er bestimmte Fotos aus Abu Ghraib als "symbolische Bilder unserer Zeit" begreift, als "das, was visuell von unserer Epoche in Erinnerung bleiben wird." Hochinteressant ist die Frage, warum die Bilder aussehen, wie sie aussehen, welche vorhandenen Ikonografien sie bewusst oder unbewusst zitieren, was ihr Geheimnis ist, worin genau ihr jedem offensichtliches eigenartiges "überschüssiges" ikonographisches Potential besteht, was ihre sexuelle Komponenten und die Begierde die Geschehnisse auf Amateurbildern festzuhalten, über den Sadismus und Voyeurismus verraten, der nicht nur einen Teil des Wesens von Abu Ghraib ausmachte, sondern der zum Herz unserer Kultur gehört.

Davon handelt der Film unter seiner Oberfläche auch, genau wie von jener Unterschicht, die in den USA verächtlich, aber mit Gründen "white trash" genannt wird, und aus denen sich die Armee immer wieder neues Soldatenmaterial holt: Kindheit im Trailerpark, Arbeitslosigkeit, Erniedrigung im zivilen Leben. Country-Musik. Nur ein Schwarzer ist dabei. Er erzählt die dämonische Geschichte davon, wie man Gefangene durch Musik quälen wollte: HipHop habe nicht geholfen, die Gefangenen hätten irgendwann mitgesungen. Auch Heavy Metal habe keinen Erfolg gehabt. Erst Country sei eine erfolgreiche Folter gewesen. Man lacht auf, und dann erstickt das eigene Lachen im Kino…

Täter-Infotainment?

Der Film führt solcherlei Gedanken aber leider nicht ausreichend aus. So ist nachvollziehbar, warum sich bei manchen Beobachtern der Eindruck einstellt, hier würden die Leiden von Menschen in obszöner, weil unnötiger Weise ausgestellt und die Opfer noch einmal missbraucht. Morris argumentiert, die Bilder seien bekannt, und der größere Missbrauch liege im Verschweigen der Leiden. Das ist immerhin ein Standpunkt. Auch könnte man auf den ersten Blick kritisieren, dass diese Opfer selbst kein einziges Mal zu Wort kommen. Das allerdings liegt daran, dass sie Morris' schlicht nicht gefunden hat.

So sieht sich der Betrachter in unangemessener Breite mit den Ausreden der Täter konfrontiert, und kommt unfreiwillig fast in die Rolle ihres Therapeuten. Gerade hier erinnert Morris' Darstellung unangenehm an das Täter-Infotainment eines Guido Knopp im deutschen Fernsehen, zumal auch Morris seine Folterer erkennbar hübsch geschminkt hat - sechs Make-Up-Artists erhalten in dieser Dokumentation einen "Credit" im Abspann -, in cleanen, fast "zu schönen" Einstellungen vor der immer gleichen blaugrauen Wand zeigt, wie Knopp seine Stalingradkämpfer und Wehrmachtsoffiziere. Auch wirkten die wenigen "Re-Enactment"-Momente unnötig und in der Ausführung - Nahaufnahmen in Zeitlupe von Blut, das zu Boden tropft, Augenbrauen, die rasiert werden oder einzelnen Körperteilen, die in der Darstellungsform und Ausleuchtung am ehesten an Pornobilder erinnerten - deplatziert.

Angst ist erlaubt, Demütigung ist erlaubt

Ganz so einfach kann und sollte man es sich allerdings trotz solcher offenkundigen Schwächen im Umgang mit Morris' Film nicht machen. Auch lässt sich der "Spezialpreis der Jury" den der Film bei der Berlinale am Ende gewann, nicht kurzerhand als "Costa-Gavras-Effekt" abtun, oder allein aus der politischen Brisanz des Films ableiten. Denn Morris' Methode ist keineswegs neu, sie ist konsequent, und sie hat ihre Meriten. Morris will keine Opfer interviewen, er will zeigen, was ihnen angetan wurde - um ihrer Würde willen. Wie Peter Weiss in "Die Ermittlung", wie Eberhard Fechner in seinen Dokumentationen versucht er sich der Ungeheuerlichkeit des ganzen Vorgangs zu nähern, indem er die Täter sich selbst entlarven lässt. Das gelingt. Wie die Schergen von Auschwitz verteidigen sich auch die von Abu Ghraib mit der Ausrede, sie hätten "nur ihre Pflicht" getan, seien Befehlen gefolgt.

Schockierendste Erkenntnis: Sie haben zum Teil recht. Kaum zu glauben ist, welche "Verhör"-Methoden alle derzeit als "Standard Operating Procedure" der US-Armee zugelassen sind und tagtäglich - gestern, heute, morgen! - auch anderenorts praktiziert werden. Etwa das Bild des Gefangenen "Gilligan" auf einem Kasten mit Kapuze und Drähten, die an seine wie bei einer Kreuzigung ausgebreiteten Hände angeschlossen sind - zum Schein wird er mit Elektroschocks bedoht. Dies ist DAS Symbol-Bild von Abu Ghraib - das Symbol-Bild für Folter - und es ist "standard operating procedure". Der Begriff bezeichnet die offiziell erlaubten Verhörmethoden. Angst ist erlaubt, Demütigung ist erlaubt. Es ist verboten, Häftlinge nackt zu einer Pyramide zu stapeln, oder sie zum Masturbieren zu zwingen. Es ist erlaubt, einen Häftling nackt über Stunden an ein Bettgestell zu ketten und ihm dabei einen benutzen Schlüpfer über den Kopf zu ziehen. Folter ist verboten, Scheinfolter nicht.

Der Normalfall der US-Politik

So wird deutlich: Abu Ghraib ist der Normalfall der US-Politik. Ein Mikrokosmos ist, der beispielhaft für das Ganze ist. Ein Paradebeispiel für die US-Strategie im Irak, wie Noami Klein es in ihrem Buch "Die Schock-Strategie" beschreibt. Nur ein kleiner, zufällig sichtbar gewordener Teil der systematischen US-amerikanischen Folter- und Demütigungsmaschinerie. Die US-Armeeanweisungen beinhalten systematische Verletzungen der Genfer Konvention und Verbrechen. Es kümmert kaum jemanden, und es wird nicht sanktioniert. Solange das so bleibt, ist schon die US-amerikanische Politik das Verbrechen.

Kann es überraschen, dass manche die Washingtoner Administration als Menschheitsfeind ansehen, und diejenigen, die schon die Attentate vom 11.9.2001 mit gar nicht mal klammheimlicher Freude bejubelten, scheinen im Nachhinein durch Abu Ghraib hierfür eine moralische Rechtfertigung zu erhalten? Kann es überraschen, dass nicht wenige Menschen in der Welt Bush und Rumsfeld und anderen gönnen würden, sie müssten eine Weile in den US-Gefängnissen verbringen, oder sie würden einer Gruppe "Insurgents" in die Hände fallen?

Kaum einer der verantwortlichen Vorgesetzten war zum Gespräch bereit, kein einziger der höheren Verantwortlichen wurde bislang angeklagt. "SOP - Standard Operating Procedure" ist erst ein Anfang. Weiteres Material veröffentlicht Morris in Buchform - gemeinsam mit Philip Gourevitch, einem Autor des "The New Yorker": "Der Film zeigt nur die Spitze des Eisbergs. Offen gesagt möchte ich, dass die Verantwortlichen bestraft werden." Hervorragend zeichnet Morris das deprimierende Psychogramm des inneren Beziehungsgeflechts unter den Wärtern und der Männergesellschaft Armee, und das leider schlüssige Bild eines verrohten, barbarischen Amerika. Eine Dokumentation als Horrorfilm.

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