Mittwoch, Mai 28, 2008

Fleißige Zensoren: Türkische Gerichte riegeln das Internet ab

Anfang Mai war wieder einmal Schluss. Türkische Gerichte sperrten den Zugang zum Internet-Videoportal "Youtube", weil in einem Clip der türkische Staatsgründer Atatürk beleidigt worden sein soll. Zum dritten Mal innerhalb von nur zwei Monaten schritten türkische Richter gegen die Website ein, die seit dem vergangenen Jahr schon mehrmals abgeriegelt worden war. Dass die türkische Justiz meint, die Bürger vor einer der beliebtesten Websites der Welt schützen zu müssen, hat Kritiker im In- und Ausland auf den Plan gerufen. Der Eifer der Zensoren verdeutlicht auch, welch merkwürdiges Verhältnis große Teile der Bürokratie im EU-Bewerberland Türkei zum Prinzip der Meinungsfreiheit haben.

PKK

"Youtube" ist das prominenteste, aber bei weitem nicht das einzige Opfer der türkischen Meinungswächter. Das Photo-Portal "Slide", die unabhängige Nachrichten-Website "Indymedia" und die türkische Version von "Google Groups" sind in den vergangenen Monaten vorübergehend von türkischen Computern aus nicht zu erreichen gewesen, wie die Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" (RSF/RoG) registrierte. Der Zugang zu pro-kurdischen Medien, die der kurdischen Rebellengruppe PKK nahe stehen, wie die Website der Tageszeitung "Özgür Gündem", ist in der Türkei ohnehin gesperrt.

"Türkentum"

Die türkischen Gesetze schränkten die Meinungsfreiheit nach wie vor zu sehr ein, kritisierte "Reporter ohne Grenzen". Wie schon in der Debatte um den kürzlich entschärften "Türkentum"-Artikel 301 des türkischen Gesetzbuches wird beim Vorgehen der Gerichte gegen unliebsame Websites deutlich, dass die Justiz in der Türkei nach wie vor große Probleme damit hat, kritische Meinungsäußerungen als Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft anzusehen. Die Gesetze geben Staatsanwälten und Gerichten die Möglichkeiten, bei einem Verdacht gegen eine Website sofort zuzuschlagen und die Seite lahmzulegen.

Übertrieben

m Fall "Youtube" sei es übertrieben, den Zugang zu der gesamten Website zu sperren, weil einige Videoclips beanstandet würden, kritisiert Füsun Sarp Nebil, der Chef von "Turk.Internet.Com", einer Plattform für türkische Web-Unternehmen. Ganz "Youtube" abzuriegeln sei so, als wenn man "wegen eines Buches die ganze Buchhandlung abbrennt", sagte Nebil bei einer Konferenz Anfang Mai. Der Internet-Experte Mustafa Akgül von der Ankaraner Bilkent-Universität stellte die Frage, ob die Türkei ihren Bürgern auch den Zugang zur Bibliothek des US-Kongresses in Washington verwehren wolle - schließlich stünden dort tausende Bücher, in denen Atatürk nicht besonders positiv dargestellt werde.

Zögerlich

So schnell die türkische Justiz mit Verboten bei der Hand ist, so zögerlich ist sie bei der Aufhebung von Zugangssperren. Die Google-Juristin Nicole Wong sagte in der vergangenen Woche vor einem Ausschuss des US-Senats, ihr Unternehmen stehe wegen des Problems mit der Tochterfirma Youtube seit Monaten in Kontakt mit türkischen Behörden. Grundsätzlich ist Google bereit, auf die Gesetze einzelner Länder Rücksicht zu nehmen - wie etwa auf das Verbot von Nazi-Propaganda in Deutschland. Doch in der Türkei ist die Zusammenarbeit mit den Behörden laut Wong alles andere als einfach: "Es ist schon schwierig herauszubekommen, welche Videos denn nun eigentlich der Anlass für die Beschwerden waren."

Doch das Internet ist anders als Zeitungen oder Bücher - eine effektive Zensur ist schwierig. In der Türkei tauschen Blogger und Teilnehmer von Internetforen längst Kniffe und Ideen aus, wie die gerichtlichen Sperren für "Youtube" und andere Websites umgangen werden können.

Öffentlichkeit verärger

Unterdessen wächst in der Öffentlichkeit die Verärgerung über die Internet-Kontrolleure in den Gerichten. Die Türkei sei eines von nur 13 Ländern auf der ganzen Welt, in denen "Youtube" im vergangenen Jahr verboten worden sei, kommentierte jetzt die Zeitung "Vatan", die ihren Lesern eine entsprechend eingefärbte Weltkarte präsentierte: "Karte der Schande", lautete die Schlagzeile. (Von Susanne Güsten/APA)(Quelle:derstandart.at)

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