Freitag, Mai 30, 2008

Ein Kinderschänder in der "Bombay-Lounge"

Der Sekten-Guru und wegen Kindesmissbrauchs gesuchte Oliver Shanti ist auf der World-Tour-Kompilation-CD des Spiegel vertreten.


Mit steigender Verfügbarkeit und zunehmender Unübersichtlichkeit von Musik ist bei den Konsumenten das Bedürfnis nach einer Orientierungshilfe im Sinne eines Kanons aufgekommen und ein riesiger neuer Markt entstanden. Und je exotischer die Musik, umso unbedarfter wird diese vorgegebene Unterweisung hingenommen. Um also zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, braucht es nur eine Plattenfirma auf der Suche nach alternativen Einnahmequellen und eine angesehene Zeitschrift, welche bereit ist, dem Zug zur weiteren [extern] Verschwanitzisierung der Welt aufzusitzen.

So lädt der [extern] Spiegel zusammen mit Sony BMG für knapp 180 Euro unter dem Titel "World Tour" mit zwanzig Doppel-CDs "im exklusiven Schuber, ausgewählt von der Redaktion des KulturSpiegel" ein auf eine "faszinierende musikalische Reise rund um die Welt", welche die "Kulturen der 5 Kontinente" umfasst. Neben verheißungsvollen Titeln wie "Arabian Nights", "Sushi Club" oder "Celtic Roots" findet sich hier auch eine [extern] "Bombay Lounge", auf der bekannte Künstler wie der Sitar-Guru der Beatles, Ravi Shankar, die Filmmusikchanteuse Lata Mangeshkar (der Spatz von Kalkutta) und der Soundtrackkomponist A R Rahman (der indische Harold Faltermeyer) zu finden sind.
Allerdings ist diese bunte Mischung möglicherweise doch etwas zu bunt geraten. Denn neben den Liedern verdienter Künstler ist auch das Kleinod "Indian Ceremony" von Oliver Shanti & Friends auf die Zusammenstellung geraten. Dies ist gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens hatte der geschäftstüchtige Esoterikmusikproduzent Oliver Shanti (bürgerlicher Name: Ulrich Schulz) vor Jahren dafür gesorgt, dass seine Erzeugnisse in Drogeriemärkten als Kassenware angeboten wurden und war somit über lange Zeit hinweg für gesteigertes ästhetisches Unbehagen an den hiesigen Warteschlangen verantwortlich. Zweitens ist das Geschäftsgebaren des umtriebige [extern] Eso-Unternehmers und Sekten-Führers, welcher Alben wie "Tai Chi", "Tai Chi Too" oder "Alhambra" jeweils mehr als einhundertausendmal verkaufte, mindestens dubios:
Obwohl er [extern] angeblich weder an Komposition noch an der Aufnahme "seiner" Lieder in größerem Ausmaß beteiligt, sondern vor allem für die Endabnahme zuständig war, wurden alle unter dem Namen "Oliver Shanti & Friends" veröffentlicht, wobei sämtliche Tantiemen dem extravaganten Papageiensammler zukamen. Bei der CD [extern] "Tai Chi", die insgesamt mehr als 300.000 mal über die Theke ging, sollte pro verkauftem Exemplar eine Mark an eine tibetische Hilfsorganisation fließen – diese erhielt allerdings [extern] nach Angaben eines ehemaligen Shanti-Gefährten bislang keinen Cent davon.
Drittens ist Oliver Shanti gar nicht mal für die Erzeugung von Harmonien des indischen Subkontinents bekannt, sondern für musikalische Ausflüge in das Reich der Apachen und Komanchen berüchtigt. So ist es durchaus möglich, dass sich mit "Indian Ceremony" nicht eine indische, sondern eine indianische Kulturweise auf leisen Mokassins in das globale Dorf der Spiegel-Weltmusik geschlichen hat. Zumindest ziert auf [extern] Amazon das Cover der Shanti-CD "Well Balanced", von welcher der Song entnommen wurde, neben ein paar Wigwams, einem Büffel und roten Felsen relativ eindeutig das Antlitz einer gefälligen Indianersquaw.
Auch die hiesigen Kundenrezensionen erwecken eher Assoziationen an typisch westliche Möchtegern-Schamanen, die an der falschen psychedelischen Wurzel geknabbert und gerade ihr Herz für die in die native americans hineinprojezierte Naturmystik entdeckt haben, als an indische Lounge-Klänge für den musikalischen Globetrotter: "So hören wir Songs wie "Indian Ceremony", "Heya Heya" oder "We Could Have Been Brothers". Sie vermitteln das passende Bild. Ein weiter, weißbewölkter Himmel über staubiger Steppe, rote bizarre Felsgruppen. Das sorgt sowohl für Melancholie, als auch für Fernweh... Der Rhythmus dieser Musik wird in dir schlagen und dich tragen mit den Flügeln des Adlers." "Man hat wirklich das Gefühl über der Prärie als Adler zu schweben." – In der Tat ist die "Indian Ceremony" ein lupenrein verrockter Indianertanz.
Viertens allerdings, und hier hört der Spaß endgültig auf, ist Oliver Shanti einer der [extern] meistgesuchten Straftäter Deutschlands. Nach ihm wird seit August 2002 wegen mehr als hundertfachen Kindesmissbrauchs gefahndet - für Hinweise, die zu seiner Ergreifung führen, ist eine Belohnung von 3.000 Euro ausgesetzt. Auf dem Verzeichnis der meistgesuchten Personen des [extern] BKA kommt Schulz noch vor dem mutmaßlichen 9/11-Attentätern Zakariya Essabar und Said Bahaji. Und um diese Informationen zu erhalten, muss man sich nicht extra eine Leitung nach Wiesbaden legen lassen. Schon eine einfache Google-Suche führt in kürzester Zeit zu deutlichen Hinweisen auf den mutmaßlich schwer kriminellen Lebenswandel des Musikproduzenten.
Es zeugt also nicht nur von einer ungeheuerlichen Arroganz gegenüber anderer Kulturkreisen, wenn auf einer Kompilation indischer Musik ausgerechnet seichte Esoterik-Mucke von Oliver Shanti enthalten ist, sondern auch von einer sensationellen Schlamperei bei dessen Zusammenstellung: Diese offenbart, wie wenig Wert jenseits des Reibachs man dem Riesenprojekt beimisst, dem Käufer einen Einblick in die Musik anderer Erdteile zu geben: Jede CD strotzt vor musikalischen Stereotypen, welche mehr die Erwartungshaltung von Esoterik-Narren bestätigt als einen Eindruck von den realen musikalischen Traditionen des betreffenden Landes zu vermitteln.
Anstatt mit musikalischen Klischees und konvenierenden Hörgewohnheiten zumindest ansatzweise zu brechen, wird jener Akustik-Schleim serviert, der einem in jeder Buddha-Bar in die Ohren tropft. Aber vielleicht handelt es sich ja um eine besonders schlaue Finte des Hamburger Nachrichtenmagazins handelt, das anhand der Zahlung der Tantiemen auf die Spur des Verbrechers gelangen will. In diesem Fall darf man auf weitere brisante Enthüllungen während der World Tour des KulturSpiegel gespannt sein.(Quelle:Heise.de)

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