Der Mann mit der Bullenpeitsche...
...und ein Drehbuch mit Erwachsenen-ADHS: Steven Spielberg hat "Indiana Jones" recycelt.
Ein Film, der nicht innehalten kann und der sich gerade darum in die Länge zieht - rasender Stillstand. Hetzkino, in dem der recycelte Hybrid im Regenwald auf den Spuren Erich von Dänikens watet. "Indiana Jones" bietet genau jene Form von Infantilismus, die repräsentativ ist für unsere Gegenwartskultur - den Abschied von linearen, realistischen Popular-Erzählformen - und lässt den Konstruktivismus über die klassische Moderne triumphieren.Pyramiden, Wasserfälle, Naturvölker, Ameisen und UFOs - das Auge guckt mit und Steven Spielbergs Kino ähnelt immer mehr einem großen Freizeit-Themenpark, an dem an jeder Ecke ein neues Universum lauert. Spätestens nach Spielbergs vierten "Indiana Jones"-Abenteuer würde man sich auch nicht mehr wundern, wenn es der arme, längst seiner Profession entfremdete Archäologe irgendwann in Zukunft auch noch mit Sauriern und weißen Haien zu tun bekäme.
Nun ist der Mann mit der Bullenpeitsche, Schlapphut und coolen Sprüchen jedenfalls zurück. Der Held selbst ist seit jeher ein merkwürdiger Hybrid aus Wissenschaftler und Actionheld, ein Patchworkwesen, das verschiedenste widersprüchliche, meist einander ausschließende Potenzen in sich vereint.
Archäologie ist eigentlich langweilig
Natürlich geht es keine Sekunde in diesen Filmen wirklich um Archäologie. Denn Archäologie ist eigentlich langweilig. Sie besteht daraus, dass viele Leute irgendwo lange graben und meistens nichts finden. Und alles, was sie finden, müssen sie vorsichtig mit dem Minispachtel herausspachteln, mit dem Minipinsel herauspinseln, putzen und ganz vorsichtig hochheben, damit es nicht zerfällt. Und dann ist schon wieder ein Jahr rum. Nichts für einen Actionfilm. Bei "Indiana Jones" ist Archäologie so, dass der Held in eine dunkle Ecke oder die Schatztruhe eines Tempels oder die Innereien einer Mumie greift, etwas aus Gold oder Edelstein in der Hand hält und sagt: Ah! Das ist ja der berühmte Königsschädel der verschollenen Blablabla-Kultur aus dem Soundso-Zeitalter.
Die Idee des Films ist, dass man Archäologie kurz begreift, und dazu hilft, wie Maximilian Schell bei Terra-X ein Professor, der nie im Hörsaal ist, oder nur zehn Minuten, wo er seinen Studenten dann die Aufgabe stellt, doch mal im vierten Kapitel den Unterschied zwischen Migration und Exodus nachzuschlagen, bevor er sich den Schlapphut - schon klar: Unter Fans heißt es "Fedora-Hut" - greift und in den nächsten Dschungel verschwindet.
Trotzdem war es offenbar nötig, diesem Actionhelden auch noch eine bürgerliche Existenz und eine Rechfertigung für sein Wissen und seine Abenteuer zu geben. Allan Quatermain brauchte das noch nicht, der Held des späten 19. Jahrhunderts, jener Ära von Kolonialzeit und Imperialismus, deren uneheliches Geschöpf auch Indiana Jones ist. "Indiana Jones" bezieht sich explizit auf Quatermain, der übrigens auch schon so einen Hut auf hat, und auf den gescheiterten Versuch, diese Romane in den 70er Jahren mit Richard Chamberlain zu verfilmen.
Obelix, nicht Selbstironie
Die "Indiana Jones"-Serie, die 1981 begann, ist demgegenüber der Versuch, die Seele der Groschenhefte und der Trivialliteratur der 30er und 40er Jahre fürs Kino wiederzubeleben - was ja überhaupt in den Anfangsjahren von Steven Spielberg und George Lucas deren Masche war: B-Movies auf der Höhe der Zeit noch einmal zu drehen.
Dazu gehört, dass man sich über Logik und authentisches Setting nicht übermäßig viel Gedanken macht, auch nicht darüber, dass der Held verletzungsresistent ist. Der spezielle "Indiana Jones"-Flair liegt aber in etwas anderem, und hier kommt das Professorale ins Spiel: Es ist seine Tolpatschigkeit, die Tatsache, dass immer wieder Stunts "misslingen", also nicht wie geplant ablaufen, aber gerade dadurch dann zum gewünschten Ergebnis führen - etwas Obelixhaftes also. Denn Indiana Jones ist nicht listig, er ist, falls er mal Zeit hat, brav und gutmütig, kann nicht richtig mit Frauen flirten oder war schlecht in der Schule. Der Akademiker und Nerd als potentieller Held ist die Phantasie, die uns hier vorgeführt wird. Wenn Indiana im neuen Film zum Beispiel einmal aus Versehen ganz woanders landet, als er will, ist es dann Selbstironie, was der Held da präsentiert?
Das heißt es immer gern. Aber um selbstironisch zu sein, muss es ja ein Selbst geben, das nicht schon immer ironisch ist. Das gibt es hier nicht. Die Selbstironie in "Indiana Jones" ist Programm und das sogenannte Augenzwinkern eines Helden, der sich nicht ernst nimmt, in Wahrheit kalte Berechnung.
Smalltown-Amerika ist eine Illusion
"Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull" so der Titel des vierten "Indiana Jones"-Films erzählt von einem älteren Herren, der es nochmals wissen will - das gilt für Indiana Jones, wie für seinen Regisseur. Die Handlung spielt im Jahr 1957, dem Höhepunkt des "Amerikanischen Zeitalters". Eisenhower ist Präsident, Amerika glaubt seine Unschuld noch nicht verloren zu haben, und auch Professor Jones ruft "I like Ike" und wählt die Republikaner. Die einzige Bedrohung scheinen die Kommunisten zu sein. In diesem Zusammenhang ist wohl der schönste Spaß in diesem Film, Cate Blanchett bei ihrem Auftritt als stalinistischer Domina im Dienst der Sowjetunion zuzusehen - mit strengem Pagenschnitt, dunklen Haaren und starkem Akzent offen in der Tradition von Greta Garbos kühl lächelnder "Ninotschka"-Rolle, aber auch des abgründigen Sarkasmus der großen Lotte Lenya als russischer Agentin in "Liebesgrüße aus Moskau".
Doch Spielberg nutzt die Zeit der frühen Atombombentests und der McCarthy-Ära sehr schnell und deutlich auch dazu, seine aktuellen politischen Ansichten in 50 Jahre alte Kostüme zu kleiden: "I don't recognize this country any more", sagt Indiana Jones. Deutlich spielt die Paranoia der Kommunistenhatz, die sogar Indiana Jones bald außer Landes zwingt, auf George W. Bushs "War on Terror" an. Es gibt keinen wirklichen Frieden hier, Smalltown-Amerika ist eine Illusion, ein mit Plastikpuppen bevölkertes Kulissendorf, hinter dem der absolute Schrecken lauert: der nukleare Weltenbrand.
Rote Ameisen und kleine grüne Männchen
Kurzweilig ist also der Anfang, doch dann dehnt dieser sich immer noch etwas weiter, tritt das Recycling seines Helden immer breiter, und eine halbe Stunde ist vergangen, bevor der Film dann ansatzweise seine Handlung findet. Diese dreht sich um einen merkwürdigen Kristallschädel, der überraschenderweise magnetische (!) Kräfte entwickelt. Wie sich herausstellt, stammt der Schädel von Außerirdischen. Je nachdem, ob man als Zuschauer nun selbst Esoteriker ist, an Aliens glaubt, Erich von Däniken schätzt, gern auf Pyramiden klettert oder das "Festival des archäologischen Films" in Athen besucht, wird man der nach üblichen Maßstäben zunehmend abstrusen Handlung viel abgewinnen - oder eben ziemlich wenig.
Von jedem Realitätsbezug und erzählerischer Seriosität - falls man dergleichen bei einem "Indiana Jones"-Film überhaupt noch erwartet - muss man sich schon spätestens nach einer Viertelstunde verabschieden, als der Titelheld einen Atombombentest in der Wüste von Nevada unbeschadet übersteht, weil er in der Eile einen Kühlschrank zum Schutzraum umfunktioniert - und am Ende grinsend und unbeschadet vor dem riesigen Atompilz aus dem Kühlschrank klettert. Solcher Art völlig geschmack- und instinktlosen Umgangs mit bestimmten Abgründen des realexistierenden Schreckens waren die "Indiana Jones"-Filme schon immer gnadenlos unbekümmert - Hiroshima-Opfer kaufen ja sowieso keine Eintrittskarten.
Das Ende des Films, bei dem ein UFO aus einer Maya-Pyramide heraus in den Himmel startet, erinnert außer an Spielbergs kuriose Privatmythologien aus "E.T." und "Unheimliche Begegnung der Dritten Art" auch verdächtig an Roland Emmerichs unfreiwillig albernen Mythenmix "10.000 BC".
Dazwischen liegen zwei Stunden atemloses Hetz-Kino, das eher an ein Computerspiel erinnert als an einen Film: Fortwährend hat der Held eine neue Herausforderung zu bewältigen - Skorpione, drei Wasserfälle hintereinander, mörderische Eingeborene ... Doch nach jeweils etwa einer Minute verschwindet die Gefahr wieder so schnell, wie sie gekommen ist, auf Nimmerwiedersehen - das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom als neues Drehbuchprinzip.
Unabhängig davon aber lässt sich, wenn man die Eindrücke zwischen atemlosen Verfolgungsjagden, menschenfressenden roten Ameisen und kleinen grünen Männchen geordnet und einmal durchgeatmet hat, eines sagen: "Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull" ist ein Film ohne echte Überraschungen und daher enttäuschend - und nach all der Erwartungsfreude ist die Tatsache dann doch etwas zu wenig, dass sich Spielberg hier seinen persönlichen Kindergeburtstag gegönnt hat.
Was Indiana Jones in der Maya-Pyramide sucht, ist Wissen, nicht Entertainment
Der Irrtum all derjenigen, die es hier nun ablehnen nachzudenken - womit sie nur verraten, dass sie am liebsten überall darauf verzichten würden -, ist, dass man ihrer Ansicht nach über dumme Dinge nicht nachdenken kann oder dass Unterhaltung mit
Nachdenken nichts zu tun hätte. "Nachdenken schadet nur", behaupten manche. Aber wobei eigentlich? Wenn der Film gut ist, ist er gut. Nachdenken schadet nur, wenn man beim Nachdenken darauf kommt, wie blödsinnig er im Grunde ist. Aber zumindest darüber, dass Spielberg viel nachgedacht hat, wird man sich doch wohl einigen können, oder? Sollte man dann nicht auch über Spielbergs Gedanken nachdenken? Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass nur das, was den Verstand beleidigt, unterhalten kann, dass etwas, um unterhalten zu können, auch wirr und grob sein muss.
Warum behandelt man seinen Geist so, wie man den eigenen Körper niemals behandeln würde? Wer ernährt sich eigentlich nur von McDonald's? Wer glaubt, dass McDonalds gesund ist? Ab und zu trotzdem mal zu McDonald's gehen, macht jeder. Aber muss man deswegen behaupten, es sei gesund? In einer Filmkritik geht es nur darum, zu benennen, um was für eine Art Film es sich handelt.
Wer dann gegen Intellektuelle schimpft, die einem den Spaß rauben, den darf man erinnern, dass Indiana Jones selbst ein Intellektueller ist, der in diesem Fall von McCarthy wegen Nonkonformismus vertrieben wird. Und was er in der Maya-Pyramide sucht, ist Wissen, nicht Entertainment.
Kinder an die Macht: Playmobilritter im Legoland
"Indiana Jones"-Filme sind barockes Patchwork-Kino, das jenen Kinderspielen ähnelt, in denen Playmobilritter gegen Legocowboys kämpfen, auf Modelleisenbahnen fahren und mit China-Krachern in die Luft gesprengt werden. Was dann immer so dagegen argumentiert wird - der Film will ja "nur" Unterhaltung sein (was auch die Unterhaltung unterschätzt) -, führt weit am Thema vorbei. Denn die Frage ist ja zum einen die, ob unterhalten wird, und da kann man in diesem Fall schon geteilter Meinung sein, aber auch, mit welchen Mitteln.
Wenn "Indiana Jones" manchen nicht gefällt, geht es nicht um billige Effekte, nicht um Bilder, die ihren Second-Hand-Charakter zum Inhalt machen so wie eine stonewashed-Jeans. Es geht um billige Inhalte, um Gedanken mit Second-Hand-Charakter. Es geht darum, was es über eine Kultur verrät, wenn ihre erfolgreichsten Produkte aus Kinderquatsch bestehen, und wenn die erwachsenen Konsumenten dieses Kinderquatsches damit auch noch ein gutes Gewissen haben. Dass in einem Kindergarten die Spaßverderber mit Hohn und Spott beworfen werden, dass man sie diskreditiert, sollte jedenfalls nicht überraschen.
Ein philosophisches Werk: Abschied von der linearen Form
Die Aliens sind natürlich auch ein doppeltes und dreifaches Selbstzitat Spielbergs: "Unheimliche Begegnung der Dritten Art", "E.T." und "A.I." standen sämtlich Pate. Spielberg hat seinen persönlichen Hang zur Esoterik und Privatmythologie, das Hippiehafte, die LSD-Züge seiner Weltsicht immer schon gepflegt, und sein Genie besteht nicht zuletzt daraus, dem eine massentaugliche Form zu geben. Natürlich ist Spielberg einer der größten Mythologen des Gegenwartskinos, und noch in Jahrhunderten wird man aus seinen Filmen etwas über den Geist und die Irrtümer unseres Zeitalters erfahren.
Mit "Raiders of the Lost Ark" begann 1981 das Eindringen der Esoterik in den Action-Film. Es geht nicht um das Irrationale, nicht um Gegenaufklärung, sondern um Ununterscheidbarkeit: Mythos und Aufklärung, Technik und Religion vermischen sich in diesen Filmen bis zur Unkenntlichkeit.
In "Indiana Jones 4" nun verschmelzen Maya-Mystik, Christen-Kitsch und Däniken-Kaffeekranz in der in mindestens vier Dimensionen erzählten Story. Wenn das nun wenigstens geschmackvoll inszeniert wäre, wie es Spielberg vor lauter Kubrik-Ehrfurcht in "A.I." gelang, hätte es vielleicht sogar ein schön psychodelisch durchgeknallter Film werden können. Doch das Ganze ist visuell gerade im Eso-Teil unterirdisch: Der Versuch, einen visuellen Ausdruck für das Mythische, für Transzendenz zu finden, mündet in kindische und spießige Bilder von erschütternder Banalität.
Was "Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull" zu einem für unser Zeitalter repräsentativen Kunstwerk macht, ist der Abschied von der linearen Form. Scheint alles hier auch ein rasender Pfeil durch die Zeit, ein einziger vulgärer roter Faden zu sein, herrscht in Wahrheit rasender Stillstand und Atomismus: Jeder Punkt dieses Films kann im Prinzip mit jedem anderen verbunden werden, der Anfang könnte das Ende sein, die letzte Szene die drittletzte, der Wasserfall der Beginn und die Mumienöffung das Ende. Es gibt keine Ordnung und Einheit mehr, es herrscht beziehungslose Mannigfaltigkeit.
Spielberg und Lucas, die antraten, realistische Erzählformen der klassischen Moderne, die über Konstruktivismus und Abstraktion verlorengingen oder vergessen wurden, zu erneuern, haben in Wahrheit einen der abstraktesten und konstruktivistischten Filme geschaffen, die man sich vorstellen kann.
Auch wenn es manchem Fan nicht passen wird, aber: Dieser Film ist ein philosophisches Werk. Er bringt die Gegenwart auf den Punkt. Und er verweist auf die Zukunft - gerade weil er reine Oberfläche ist. Schön müssen wir ihn deshalb allerdings nicht finden.
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