Bagdad: Runter von SOFA?
Der irakische Premierminister Maliki verlangt einen Zeitplan für den Abzug der amerikanischen Truppen
Sie hat im ersten Moment eine Kühnheit, die man aus dieser Richtung normalerweise nicht erwartet: Die Forderung nach einem Zeitplan für den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak, wie dies Premier Nouri al-Maliki am Montag geäußert hatte. Und sein Sicherheitsberater Muwaffak al-Rubaie legte am nächsten Tag bei der Pressekonferenz noch Erstaunlicheres drauf: "Heute sprechen wir nicht über einen Zeitplan für die Präsenz ausländischer Truppen im Irak, sondern wir sprechen vielmehr über eine Räumung (" evacuation") der ausländischen Truppen."Rubaie sprach nach seinem Besuch der ehrwürdigen grauen Eminenz Iraks, dem Großayatollah Ali Sistani, vor der Presse. Sein neu dokumentiertes Selbstvertrauen, das sich in der Formulierung von der Räumung zeigt, reagiert auf Forderungen der geistlichen Elite Iraks, die Ayatollahs der Hausa (Hawsa). Und Maliki reagierte, so meinte der informierte Irak-Kommentator, Juan Cole, auf den Druck der Sadristen. Die Vertreter der Besatzungsmacht geben sich wenig beeindruckt von der neuen Position Bagdads: "Keine Vereinbarung würde feste Zeitpläne beinhalten", ließ der Sprecher des National Security Council, Gordon Johndroe, mitteilen.
Es geht um die Verhandlungen zum Abkommen über die Militärstützpunkte im Irak, dem Status of Forces Agreement (SOFA), das nötig ist, weil mit dem Ende dieses Jahres das UN-Mandat abläuft, das der Präsenz der internationalen Truppen auf irakischem Boden eine internationale Legitimation gab. Bislang sorgten vor allem die USA mit ihren Forderungen für das bilaterale Abkommen für Aufsehen, da sie die Souveränität des neuen Irak deutlich beschränken würden (siehe Die unendliche Fortsetzung der Besatzung?). Zum ersten Mal, so der Eindruck, reagiert die irakische Regierung nicht nur auf überzogene amerikanischen Ansprüche, sondern formuliert eigene Ansprüche, die dem Katalog nationalistischer Forderungen entstammen. Eine Umkehr Mailikis also, der doch bislang vernehmbar für eine längere Präsenz der US-Truppen eintrat? Eine "brenzlige Situation" in den Verhandlungen zwischen Bagadad und Washington, wie die arabische Zeitung al-Hayat meinte?
Eher nicht. Die Zeitung al-Quds liegt hier näher bei der Wahrheit: Ihr Kommentator spottete darüber, das Maliki die wahren Machtverhältnisse offensichtlich vergessen hat: Die USA würden nicht 60 Milliarden Dollar und 4000 Soldaten opfern, um sich von Maliki einen Rückzugszeitplan diktieren zu lassen, der ihren Pläne für den Irak und die gesamte Region zuwiderläuft. Zudem würde Maliki nicht einen Tag ohne die Amerikaner überleben. Seine Forderung könnte er realistisch nur dadurch durchsetzen, dass er sich an die Spitze einer Befreiungsbewegung stelle, die einen ernsthaften Krieg gegen die Besatzer führe, so dass die Besatzungsmacht angesichts größerer Verluste dazu gewzungen sei, den Rückzug der Truppen als ersten und wichtigsten Punkt ihrer Agenda anzusehen.
Keine permanenten Militärbasen, dafür dauerhafte Militärlager?
Maliki fährt seinen üblichen Malikimanöverkurs zwischen den Forderungen der nationalen Blöcke im Irak, die er braucht, um an der Macht zu bleiben, und den Wünschen der amerikanischen Regierung, die er auch braucht, um an der Macht zu bleiben. Und er ist damit beweglich genug, um auch mit einer Veränderung an der Spitze der USA gut zurechtzukommen. Barack Obama ließ die letzten Tage schon verlauten, dass sich seine Position mit der des irakischen Minsiterpräsidenten decke und McCain muss sich im Prinzip auch nicht über Mailikis Abzugsforderung rgern, weil sie viel Luft läßt. Wieviel, das zeigt der Nachsatz am Ende der Verlautbarungen des irakischen Sicherheitsberaters Rubaie:
The evacuation of American forces has become a clear reality that can be envisioned. . . . We cannot accept the presence of permanent bases in Iraq . . . [but there is] the possibility that there will be camps obedient to Iraqi sovereignty.
Man kann davon ausgehen, dass die USA niemals akzeptieren würden, dass ihre im Irak stationierten Soldaten der irakischen Souveränität unterstellt würden – das ist in ekinem Land der Welt, wo die USA Truppen stationiert haben, der Fall -, aber der Satz von den Camps deutet an, dass sich die irakische Regierung unter Leitung von Maliki ganz wie bisher eine militärische Präsenz der Amerikaner gut vorstellen kann.
Maliki kommt, wie ein anderer wichtiger Posten seiner "neuen Position" in den SOFA-Verhandlungen zeigt, der US-Regierung viel näher, als man dies nach dem ersten Erstaunen über seine Forderung nach einem Zeitplan glaubt: Er drängt nicht mehr nach einem formellen Abschluss eines Status of Forces Agreement, sondern räumt vielmehr die Möglichkeit ein, eine weniger formelles beideseitiges Abkommen, ein Memorandum, zu schließen, das in beiden Ländern das Parlament nicht braucht, um ratifiziert zu werden.
Damit tut er zwar auch sich einen Gefallen; wie das Ölgesetz zeigt, das noch immer nicht die Hürde des Parlaments genommen hat – trotz massivem Drucks auf die Abgeordneten -, können sich die irakischen Abgeordneten ziemlich widerspenstig gegenüber Wünschen aus dem Westen zeigen. Doch vor allem auch der amerikanischen Regierung unter Bush, die sich mit ihren Plänen und Vorhaben lange mit dem Kongress unter demokratischer Mehrheit herumschlagen müsste. Ein informelles Abkommen, ohne SOFA - unter Ausschaltung der Kammern - käme beiden Regierungen entgegen.
Für die USA bleibt es, Schmeicheleien von Mailiki an die Geistlichkeit und an die irakischen Nationalisten hin oder her, ohnehin beim Alten: Im Prinzip ist man ja für den Truppenabzug, nur wird er seit Jahren an Bedingungen "vor Ort" gebunden, erst wenn es die Sicherheitslage gestattet, ein weit auslegbarer Begriff. Nach Meinung eines Beobachters, der die Verhandlungen in seinem Blog "Missing Link" genauer verfolgt, zeigt sich, dass die Positionen der Kandidaten Obama und McCain an diesem Punkt nicht so weit auseinander sind, wie man vielleicht denken könnte.
Auch Obama würde in den letzten Tagen häufiger von solchen Bedingungen reden, die Positionen würden sich in jüngster Zeit mehr annähern. Allerdings mit einem vielleicht nicht unerheblichen Unterschied: Obama will ein schnelleres Tempo, McCain ist dagegen für seinen Spruch bekannt, nach dem er sich vorstellen kann, dass die USA auch noch hundert Jahre im Irak bleiben könnten. Der Wahlkampf in den USA wird sicher die politische Physik im Irak deutlich mitbestimmen. Aber das ist auch nichts Neues. (Quelle:Heise.de)
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