Donnerstag, April 03, 2008

Raubkopien - Die Piratenjäger im Internet

Im Auftrag der Unterhaltungsindustrie verklagen zwei Männer die Anbieter von illegalen Musikkopien in Tauschbörsen – und ihr System ist äußerst effektiv.

Vor der Haustür eines Einfamilienhauses in der Nähe von Osnabrück grüßt eine kleine Elchfigur im Weihnachtsmannkostüm. Die hat offenbar jemand vergessen wegzuräumen, denn die Feiertage sind schon ein paar Wochen her. Hinter der Haustür wohnt wahrscheinlich ein Musikpirat. Einer, der über die Internettauschbörse BearShare 980 MP3s zum Download für andere Nutzer freigegeben hat. „Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz in 980 Fällen“ steht im Strafantrag, den die zwei Kripo-Beamten dabeihaben, die gerade vorgefahren sind. Sie sollen den PC mit dem Piratengut sicherstellen, das „Tatwerkzeug“. Sie klingeln.
Im Schlepptau haben die Polizisten den Sachverständigen Frank Lüngen. Der kennt alle Tauschbörsen in- und auswendig. Nicht weil er sie nutzt, sondern weil er sie bekämpft. Das tut er mit einer schon beinahe obsessiven Leidenschaft. Im letzten Jahr hat Lüngen 138 Hausdurchsuchungen mitgemacht, ist mit dem Auto 80 000 Kilometer durch Deutschland gefahren, hat jede vierte Nacht im Hotel geschlafen. Der Mann weiß, wie es auf einem Rechner aussieht, der zum Tauschen genutzt wird. Die Polizei weiß das meistens nicht. „Oft machen Streifenpolizisten die Durchsuchungen“, sagt Lüngen. „Die haben mit Computern nix am Hut und sind überfordert. Dann rufen die mich an. Das geht schneller.“

Verdächtig: ordnerweise Top-100-Titel

Und dann klingelt sie eben, die Polizei. So wie bei dem Haus mit dem Weihnachtselch. Ein Mann, Mitte 50, öffnet. Freundliches Hallo. Er kennt einen der Kripobeamten aus dem Angelverein. So ist das eben auf dem Land. Sein Sohn müsse das wohl ausgeheckt haben, vermutet der zweifache Vater, nachdem er im Bilde ist. Er telefoniert mit seiner Frau, sie ist Rechtsanwältin. Der 16-jährige Junge ist in der Schule, der Vater lässt den Sohn ausrufen, nach zwei Minuten ist er am Handy. Er erlaubt dem Sachverständigen, seinen PC kurz zu durchsuchen, verrät ihm das Passwort. Sonst sagt der Junge nichts. Muss er auch nicht. Die Mutter wird das später für ihn erledigen, sie ist ja vom Fach.

Lüngen findet auf dem PC tatsächlich ein paar Musikdateien, zu seiner eigenen Überraschung aber legal gekaufte. Kein Tool zum Tauschen. „Absolut sauber.“ Ob es noch einen Rechner gäbe? Das Notebook der Schwester. Es ist voller Musik, ordnerweise Top-100-Titel. Typische Tauschobjekte. Verdächtig. Doch Tools zum Tauschen sind auch hier Fehlanzeige: Kein BearShare, kein LimeWire, kein eMule, kein BitTorrent-Client. Nichts. Hin und wieder veranstalte sein Sohn LAN-Partys, sagt der Vater. Vielleicht hatte einer der Kumpels eine Tauschbörse laufen? Vielleicht. Vermutungen helfen Lüngen nicht, er braucht Beweise. Die Computer bleiben bei ihren Eigentümern, Lüngen fährt unverrichteter Dinge wieder ab. „Macht nichts“, meint er. „Man muss auch mal verlieren können.“

Drohungen auf dem Anrufbeantworter
Lüngen verliert ohnehin nicht oft. Gestern hat er drei Rechner beschlagnahmen lassen, erst heute Morgen wieder einen. Über 1000 MP3s hatte ein Mann über das Tauschnetzwerk LimeWire freigegeben. Als die Polizei in seinem Wohnzimmer stand, bekam er weiche Knie. Ja, er wusste wohl, dass er etwas Verbotenes getan hatte, doch vor allem beschäftigte ihn die Frage: „Woher wissen Sie das?“ Lüngen und sein Team haben das herausgefunden.
Lüngen ist Ermittlungsleiter bei proMedia, einer Agentur, die vor vier Jahren aus der Antipiraterie-Abteilung des Deutschen Phonoverbandes hervorgegangen ist. Im Auftrag vieler deutscher Musikfirmen spürt proMedia Tauschbörsennutzer auf. Kein Job, mit dem man sich Freunde macht. Wenn Lüngen morgens den Anrufbeantworter der Firma abhört, haben Nachtaktive häufig Drohungen hinterlassen: „Lüngen, ich fick’ dich. Und den Rasch fick’ ich auch.“




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