Dienstag, Februar 26, 2008

Rauchertheater und Kartenleserkneipen

Strenge Verbote regen die Phantasie der Wirte an

Mittlerweile wurde das Rauchverbot in Gaststätten beinahe bundesweit umgesetzt. Dennoch bleiben die Gesetze öffentlich, politisch und juristisch umstritten. So gab z. B. der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof per Eilentscheidung am 11. Februar der Klage eines Kneipiers wegen Wettbewerbsverzerrung statt und erlaubte das Rauchen in Gaststätten mit nur einem Schankraum. Das endgültige Urteil hierzu wird in ein paar Monaten erwartet. Dabei ist in diesem Bundesland sogar das Rauchen in Nebenräumen gestattet. Bayern hat dagegen europaweit das strengste Rauchverbot: In Gaststätten gilt es ausnahmslos - und Wirte können mit einer Höchstsrafe von 1000 Euro, Gäste mit einer Verwarnung bis zu 35 Euro belangt werden.

In Baden-Württemberg und Niedersachsen, wo das Rauchverbot für die Gastronomie am 1. August in Kraft trat, musste seitdem jeder vierte gastronomische Betrieb einen Rückgang der Gäste von mehr als zehn Prozent hinnehmen. In Bayern ist die Existenz von 5000 Wirten und 15.000 Arbeitsplätzen bedroht.

Permanente Vereinsitzungen

Wenig verwunderlich also, dass findige Wirte bereits mehrere Lücken im bayerischen Gesundheitsschutzgesetz ausmachten. Das lässt ihnen zum Beispiel das Schlupfloch, ihre Gaststätten zu Theatern zu erklären - bei "künstlerischen Darbietungen" ist nämlich das Rauchen erlaubt. Da auch Laiendarsteller in diese Kategorie fallen, veranstaltete der Wirt der Memminger Pilsbar "Treff" regelmäßige Experimentaltheateraufführungen, bei denen seine Gäste die Zeit vor dem Rauchverbot ohne Drehbuch nachspielten - wer hätte gedacht, dass sich die Partizipationsträume des Experimentaltheaters der 1960er ausgerechnet über ein Rauchverbot erfüllen würden?
Eine weitere Ausnahme sind "geschlossene Gesellschaften" wie Familien- und Betriebsfeiern oder Veranstaltungen von Vereinen. Will eine Gaststätte auf dieser Grundlage das Rauchen erlauben, dann muss sie mehrere Bedingungen erfüllen: Die Gäste müssen entweder selbst Mitglied eines Vereins mit "ordentlicher Mitgliederstruktur" sein oder über eine vorherige namentliche Einladung verfügen.
Seitdem finden in vielen Lokalen permanent Vereinssitzungen des VEBWK statt, des "Vereins zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur", bei dem sowohl Wirte als auch Raucher Mitglied werden können. Für einen Euro im Monat kann ein Gastmitglied alle Raucherclubs in Bayern aufsuchen, die sich an dem Verein beteiligen. Nichtmitgliedern muss der Zugang zum Lokal verwehrt werden. Dies kann zum Beispiel über Ausweise oder über Chipkarten geschehen, die durch einen Kartenleser an der Tür gezogen werden. Ein Münchner Wirt ließ sogar mehrere Hundert Zweitschlüssel anfertigen, mit denen seine Stammgäste nun selbst aufsperren können – allerdings nur während der Öffnungszeiten.

CSU unter 50%

Mit dem von ihnen ins Leben gerufenen Verein, der unlängst sein zehntausendstes Mitglied begrüßen durfte, wollen die Wirte auch der CSU einen Denkzettel verpassen. Weniger bei den Kommunalwahlen am 2. März (die traditionell eher Persönlichkeits- denn Parteiwahlen sind) als bei den Landtagswahlen im September - zur Oktoberfestzeit, wenn den Einheimischen das Rauchverbot besonders schlecht schmecken dürfte. Tatsächlich rutschte die für den besonders rigiden Nichtraucherschutz verantwortliche Volkspartei neuesten Umfragen zufolge unter 50 Prozent und hat angeblich seit dem Raucherschutzgesetz eine durchaus deutlich angestiegene Austrittsquote zu verzeichnen.
Die Tabakindustrie scheint bei diesen Bemühungen bisher noch wenig involviert zu sein. Das ist unter anderem deshalb überraschend, weil sich die Tabakkonzerne einer Studie von "Globalization and Health" zufolge bereits 1977 zum Netzwerk ICOSI zusammenschlossen, um ihre Gegenmaßnahmen zur Gesundheitspolitik besser koordinieren und auch über das Gefahrenpotential ihrer Produkte besser hinwegtäuschen zu können. 1984 hatte die in INFOTAB umbenannte Organisation bereits 69 Mitglieder, die in 57 Ländern tätig waren. 1992 wurde diese durch zwei kleinere Einrichtungen ersetzt: Das "Tobacco Documentation Centre", welches die industrialisierte Welt über die Positionen der Tabakindustrie "aufklären" soll und die "International Tobacco Growers Association", die die Werbetrommel für die wirtschaftliche Rolle des Tabakanbaus in Entwicklungs- und Schwellenländerländern rührt, wo 84 Prozent der Raucher beheimatet sind. Noch 2006 wurde ein Bundesgesetz für ein generelles Rauchverbot mit dem Argument abgeschmettert, dass die Länder für solche Auflagen zuständig seien. Damals war von einer "bedenklichen Einflussnahme" der Tabakindustrie die Rede.

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